Avantgarde oder Traditionalisten? Wie sich Buchhändler aufstellen (I)

Kolportiert wird so manches: Dass der stationäre Buchhandel den Entwicklungen infolge der Digitalisierung hinterherhinkt. Dass Buchhändler mit dem E-Book und Publikationen von Self Publishern nichts am Hut hätten. Dass ihnen das Netz fremd und Online-Shopping ein rotes Tuch ist. Vorurteile?

Haltlose Behauptungen! Das gilt jedenfalls für den Fall, wenn man sich mit den 43 Beiträgen näher beschäftigt, die ab September 2013 im Rahmen der Gesprächsreihe“ SteglitzMind stellt Buchhändlerinnen und Buchhändler vor” zusammengekommen sind. In den kommenden Wochen werde ich hier zusammenfassen, wie sich die Gesprächspartner unter den heutigen Bedingungen positionieren. Der erste Teil meines Resümees bezieht sich auf die beiden Fragen:

  • Was hat sich in den vergangenen Jahren in Ihrem beruflichen Alltag verändert?
  • Die Devise heißt ja: Buchhandel go online! Was unternehmen Sie in dieser Richtung?

Unisono berichten die 43 Gesprächspartner, dass die Entwicklungen den Alltag in der Buchhandlung erheblich verändert haben. Verwaltungsaufwand und Arbeitstempo haben zugenommen; die Freizeit wurde beschnitten. Gefragt sind mehr Medienkompetenz und viel mehr technisches Know-how als in früheren Jahren. Mit dem Internet und vor allem dem Angebot, Einkäufe per Mausklick im Netz bequem zu erledigen, sind die Serviceansprüche an den Buchhandel gestiegen. Elektronisches Bibliographieren und Warenwirtschaftssysteme haben die Arbeit einerseits zwar erleichtert, andererseits stellen die Errungenschaften auch neue Anforderungen an die Händler. Dank Internet wissen die Kunden heute besser Bescheid, womit der Informationsvorsprung des Buchhändlers geschrumpft ist. Kurzum: Ein Buchhändler muss heute schneller reagieren, besser informiert, gut vernetzt und möglichst allseits präsent sein.

Thomas Bleitner © Buchhandlung Lüders

Thomas Bleitner © Buchhandlung Lüders

Natürlich ist die Welt digitaler geworden und sie wird’s weiter. Sich einerseits darauf einzustellen und mitzuziehen, andererseits aber eben den Gegenpol zu bilden, den man zu Recht von uns erwartet, das ist eine so spannende wie knifflige Herausforderung. Konkret und auf den beruflichen Alltag bezogen bedeutet dies, per Mail, Homepage, Newsletter, Internetverkaufsplattform und sozialen Netzwerken stets ebenso präsent zu sein, wie „vor Ort“ im Laden, leibhaftig, in Fleisch und Blut und Ruhe ausstrahlend. Da kommt es schon mal vor, dass man fünf Dinge gleichzeitig erledigen muss, das war vor ein paar Jahren noch nicht so extrem. So Thomas Bleitner von der Hamburger Buchhandlung Lüders

Der Informationsvorsprung des Buchhändlers – seine wichtige Währung – ist massiv geschrumpft. Kunden wissen über Dinge, die sie interessieren oft genauso gut, wenn nicht noch besser Bescheid, als das Fachpersonal. Allerdings hat sich unsere Arbeit gerade durch das Internet deutlich vereinfacht. Wenn die Angaben auch nur einigermaßen stimmen, finde ich durch Google jedes Buch, die Datenbanken sind komfortabel und wenn – wie grade erst passiert – die Telekom Schwierigkeiten macht, dann kann ich auch bequem von daheim aus recherchieren und meine Bestellungen aufgeben. Das sagt Nicole Jünger vom Buchladen am Neuen Markt in Meckenheim

Beate und Mischa Klemm © lesen und lesen lassen

Beate und Mischa Klemm © lesen und lesen lassen

Da ist zum einen der technische Hintergrund. Wir haben mit Buchlaufkarten und viel Bauchgefühl begonnen, arbeiten jedoch seit mittlerweile einigen Jahren mit Warenwirtschaftssystemen. Sie erleichtern die Arbeit wesentlich, stellen aber auch ihre ganz eigenen Anforderungen. Was sich auch verändert hat, ist der Grad an Aktualität, den ein Sortiment haben muss, denn parallel dazu sind die Kunden wesentlich informierter als früher. Meinen Beate und Mischa Klemm von der Berliner Buchhandlung lesen und lesen lassen

Allerdings sind es nicht allein die Folgen der Digitalisierung, mit denen Buchhändler heute klar kommen müssen. Auch die Veränderungen in der Branche und die Titelflut machen ihnen zu schaffen.

Die Branche hat sich verändert, in unserer Buchhandlung hat sich in den letzten fünf Jahren nicht allzu viel verändert. Wir arbeiten an unseren Qualitätsvorstellungen einer „perfekten“ Literaturhandlung…  So Klaus Kowalke von Lessing und Kompanie Literatur e. V. in Chemnitz

Gustav Förster © privat

Gustav Förster © privat

Gleichzeitig hat die Aufblähung des Angebots nicht unbedingt eine Qualitätssteigerung mit sich gebracht, sondern eher eine Vielfalt austauschbarer Produkte. In vielen Verlagen haben offensichtlich BWLer und Controller, die versuchen, die Welt per Excel zu gestalten, mehr zu sagen als Verleger und Lektoren. Allerdings ist die Wirklichkeit nicht Excel-kompatibel, sondern eher anarchistisch. Manchmal drängt sich der Eindruck auf, es gäbe irgendwo eine Instanz, die sagt „Ihr könnt verkaufen, soviel wie ihr wollt. Wir drucken mehr“. Oder bezogen auf Verlage „Ihr könnt drucken, soviel wie ihr wollt. Wir schreiben mehr“. Meint Gustav Förster von der Wein-Lese-Handlung Förster in Ganderkesee

Dass die Befragten allesamt im Netz zu finden sind, verwundert wenig, da ich ausdrücklich darum gebeten hatte, solche Buchhandlungen für ein Gespräch vorzuschlagen, die online präsent sind. Fast alle verfügen über einen Web-Auftritt, in die ein Shop eingebunden ist. Vielfach wird berichtet, dass der Online-Shop in jüngerer Zeit zunehmende Frequenz erfährt. Parallel dazu machen einige Gesprächspartner die Erfahrung, dass die Online-Bestellungen im Laden abgeholt werden. – Wenn sie versenden, dann versandkostenfrei. Geklagt wird bisweilen darüber, wie viel Mühe es macht, den Kunden die eigene Webpräsenz nebst Online-Shop schmackhaft zu machen. Hier nehmen einige den Börsenverein für den deutschen Buchhandel in die Pflicht, dessen Aufgabe es wäre, diesbezüglich Aufklärungsarbeit zu leisten.

Wir haben seit dem ersten Tag einen Online-Shop, wie bei den meisten Kollegen, es ist allerdings tastsächlich schwierig, diesen in die Köpfe der Kunden zu bekommen. Die Kollegen vom großen Fluss haben es da wirklich geschafft, allgegenwärtig zu sein. Sagt John Cohen von der Hamburger Buchhandlung cohen + dobernigg

Brigitte Gode  © privat

Brigitte Gode © privat

Wir betreiben einen Online-Shop über unser Barsortiment und bewerben diesen auch. Wir verzeichnen zunehmende Frequenz über diesen Bestellweg, sowohl von Stammkunden, die die Bequemlichkeit zu schätzen wissen, als auch von Neukunden, die wir dann sehen, wenn sie ihre Bücher abholen. Wir machen die Erfahrung, dass die Online-Kunden selten den Versandweg wählen, sondern ihre Bestellung in der Buchhandlung abholen. Ein Zeichen dafür, dass der persönliche Kontakt nach wie vor geschätzt wird. Wenn wir die Stimme gegen Amazon erheben, müssen wir etwas entgegensetzen. Deshalb sollte heute jeder Buchhändler diese Bestellmöglichkeit anbieten. Meint Brigitte Gode von der Gollenstein Buchhandlung in Blieskastel

Gegen die Möglichkeit, Bücher online zu verkaufen, spricht sich Lutz Heimhalt von der gleichnamigen Buchhandlung in Hamburg aus: „Die Devise ‚Buchhandel go online‘ ist meiner Meinung nach eher eine Durchhalteparole. Gegen den großen Anbieter können wir online nicht konkurrieren. Nur offline ! Und darauf sollten wir uns alle besinnen!“

Anna Jeller ©  Jacqueline Godany

Anna Jeller © Jacqueline Godany

Persönlich gestaltete Internetseiten mit eigenen Webshop-Lösungen sind bei den 43 Gesprächsteilnehmern eher die Ausnahme. Obwohl sie keine individuellen Profile abbilden und für meinen Geschmack auch wenig Lust auf’s Stöbern oder gar einen Besuch der betreffenden Buchhandlung machen, dominieren Fertigprodukte, die die Barsortimente mitsamt Warenkörben zur Verfügung stellen. Kritisch sieht das Anna Jeller von der Wiener Buchhandlung Anna Jeller: „Webshoplösungen kommen für uns nicht in Frage. Zu teuer, zu unschön, zu unpassend für unser Sortiment.

Annaluise Erler © Julius Erler

Annaluise Erler © Julius Erler

Hoch im Kurs steht bei den 43 Gesprächspartnern Facebook; immerhin 33 von ihnen sind dort präsent. Einige betreiben neben der Fanpage auch ein eigenes Profil. Freilich pflegen nicht alle ihre Accounts aktiv. Die Gefolgschaft ist beim Gros überschaubar. Geschätzt wird der schnelle und unkomplizierte Austausch, den das soziale Netzwerk ermöglicht. Gerne als Instrument genutzt wird die Plattform zudem, um Veranstaltungen anzukündigen. Diese Funktion erfüllen ebenfalls die Newsletter, die einige der Befragten regelmäßig an Kunden und Interessierte verschicken. – Dass sich über das soziale Netzwerk Bücher verkaufen ließen, mit diesem Glauben räumt Annaluise Erler von der Buchhandlung Findus in Tharandt allerdings auf: „Seit rund zwei Jahren habe ich auch noch einen Facebook-Account, der zunehmend an Bedeutung gewinnt. Zwar habe ich noch kein Buch über Facebook verkauft, wie auch? Aber hier bildet sich eine ganz andere, frische Kundschaft heraus. Für mich ist es immer wieder überraschend, wer da so ‚vorbeischaut‘ und Kommentare abgibt. Ich denke, diese Art der Kommunikation ist wichtig für uns Einzelhändler, aber wir müssen auch etwas bieten.“

lest Bücher nicht T-Shirts  © Samy Wiltschek

Samy Wiltschek © Samy Wiltschek

Twitter nutzen acht, Google+ und Pinterest spielen hingegen so gut wie keine Rolle. Vier Buchhändler, die SteglitzMind Rede und Antwort standen, bloggen. Einige spielen mit dem Gedanken, diese Präsentationsmöglichkeit für ihre Buchhandlung zu nutzen; wohl schreckt sie noch der Aufwand ab. Blogs zu verschiedenen Themenfeldern unterhalten Samy Wiltschek von der Kulturbuchhandlung Jastram und Susanne Martin von der Schiller Buchhandlung, die im Übrigen als einzige auch bei Google+ und Pinterest aktiv ist.

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Generell gilt: Trotz allem Engagement im Netz – das Gespräch mit den Kunden im Laden hat bei allen Befragten absolute Priorität.

Ich kümmere mich zu 5% um Online und zu 95% um meine Kunden im Laden. Die Kunden sollen im Laden erleben, dass das was anderes ist, als am PC zu hocken. Sagt Christian Röhrl von der Buchhandlung Bücherwurm in Regensburg

Lia Wolf  © Oskar Schmidt

Lia Wolf © Oskar Schmidt

Und so ist der Internetauftritt die Ergänzung zum Laden. Natürlich sehen wir unsere Kunden lieber im Laden, kommen mit ihnen ins Gespräch, beraten sie. Meint  Gaby Kellner von Barbaras Bücherstube in Moosburg

Wir haben seit Ende der 90er Jahre eine Website und bieten Bücher auch online an. Ebenso nützen wir Facebook als Plattform. Aber am spaßigsten bleibt es immer noch im vis à vis ein Buch zu verkaufen. So Lia Wolf von der Wiener Buchhandlung Lia Wolf

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In der kommenden Woche geht es mit der Frage weiter, welchen Stellenwert das E-Book bei den befragten Buchhändlern und Buchhändlerinnen hat. Zum “Best of: Warum sollten Kunden in eine Buchhandlung gehen” gelangt Ihr hier. Und falls sich wer die Frage stellen sollte, einmal Buchhändler, immer Buchhändler?, der wird hier fündig

Zu guter Letzt: Die Aussagen von 43 Buchhändlerinnen und Buchhändlern sind ebensowenig repräsentativ wie die Resümees, die ich daraus ziehe…

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