Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?
Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Ich freue mich sehr, dass Michael Fischer von der dahlemer verlagsgesellschaft heute dabei ist.
Seit wann gibt es den Verlag?
Angefangen mit der Verlagsidee hat es so um 1986: Das waren zwei Buchhändler, ein Lehrer und ich, der vom Lektorat für Kirchenverlage die Nase gestrichen voll gehabt hatte und deshalb zum Management der Berliner Messegesellschaft gewechselt war.
Machen Sie alles alleine?
Seit 1988 betreibe ich die dahlemer verlagsanstalt allein. Jetzt gab es nur noch eine Nase, an die ich fassen musste, wenn etwas schiefgegangen war. Das geschah mir als mehr oder weniger Autodidakten zu Anfang oft.
Warum musste es unbedingt ein Verlag sein?
Ich kam aus dem Lehrerstudium und war nach allen möglichen Praktika bei Zeitungen, Zeitschriften und dem Hörfunk zu Buchverlagen gekommen, weil mich die Beständigkeit der Ergebnisse da lockte. Nach dem Motto: Wenn schon Arbeit, dann bitte nachhaltige!
Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?
Als ich ab 1988 die dahlemer verlagsanstalt allein weiterführte, war das zwei Grundmotivationen geschuldet: Ich wollte zum einen beweisen, dass es neben dem Mainstream auch andere Titel geben kann. Andererseits gab es viele Autoren aus den Verlagen, bei denen ich gearbeitet hatte, die mich geradezu gezwungen haben, den Stab wieder aufzunehmen.
Was hat sich infolge der Digitalisierung in Ihrer Arbeits-/Vorgehensweise verändert?
Bis heute rein gar nichts. Es gibt im Internet digitalisierte Angebote der Krimis von Eva Reichmann – nur stammen die nicht von mir und sind, da als gebraucht angeboten, nicht verfolgbar. Da hat sich jemand den Spaß gemacht, einem ohnehin zu scharfem Kalkulieren gezwungenen papierenen Verlag dieses Geschäft zu schmälern. Eher frage ich mich, wie kleine Verlage ihr gebundenes Programm kalkulieren, wenn sie den Titel auch digital anbieten. Ich werde frühestens dann ernsthaft über das E-Book nachdenken, wenn das Gezauder um unterschiedliche Mehrwertsteuersätze geklärt ist.
Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?
Ich sehe mich eher als Teil eines Ganzen, nicht als Konkurrenten. Ich hoffe, durch Autorenbindung punkten zu können. Es ist die Nische, die ich bediene. In enger Zusammenarbeit mit den Autorinnen und Autoren erstelle ich ein gut gemachtes Buch, von dem sie ein paar Freiexemplare erhalten. Schon so ist es schwer genug, schwarze Zahlen zu schreiben. – Und ich staune darüber, was und wie immer wieder im Zusammenhang mit Self-Publishing diskutiert wird. Die dahlemer verlagsanstalt garantiert dafür, ein Buch zu erstellen, das professioneller und sorgfältiger bearbeitet daherkommt als das, was die Self-Publisher so zusammenbringen.
So Sie Ihren Verlag neu aufstellen könnten, was würden Sie heute anders angehen als in der Startphase?
Ich würde heute keinen Verlag mehr aufmachen, bin aber auch weit davon entfernt, meinen zu schließen. Es ist einfach irrsinnig, dass wir vor allen kulturellen Überlegungen durch das Finanzamt gezwungen sind, kommerziell zu arbeiten. Das schränkt die Risikobereitschaft stark ein – und das ist nicht gut.
Wie gewinnen Sie Autoren?
Das war noch nie mein Problem. Zu Anfang, ich sagte es ja bereits, gab es die Autoren, die mich aufgefordert hatten, weiter zu machen. Das ergab schließlich vier Bücher mit Hans Zengeler, der ursprünglich bei Suhrkamp gewesen ist: „Schrott. Ein Bericht“, „Traumtänzer“, „Der reinste Terror“ und „Morgendämmerung“. Drei Bücher, nämlich „Bruchstellen der Sicherheit“, „Jahrtausend-Fürbitte“ und „Der Tollkirschenmord“, von Arno Reinfrank (╫ 2001) stammen aus den frühen Jahren der dahlemer verlagsanstalt. Eva Reichmann, die zuvor mit Zsolnay verhandelt hatte, kam zu mir, weil sie nicht bereit war, ihren Debüt-Krimi „Kalter Grund“ zu entschärfen. Mit „Schönheitskorrekturen“ und „Grenzbereich“ habe ich mit ihr dann noch zwei weitere Krimis verlegt. Bernd Kebelmann wird im November 2014 mit dem Erzählungenband „Jesus in der Samariterstraße“ sein viertes Buch bei der dahlemer verlagsanstalt veröffentlichen. Bisher sind von ihm erschienen „Stummfilm für einen Freund“, „Auf dem Tastweg“ und „Lyrikbrücken“. Rainer Schildberger kam später hinzu. Mit „Der Einflüsterer“, „Ein Sonntag zuviel“ und „Brandschatz“ gibt es von ihm bis heute drei Bücher bei der dahlemer verlagsanstalt. Ingolf Brökel kam neu hinzu, vermittelt durch Günter Kunert, mit dem ich – in Zusammenarbeit mit André Krigar – das Berlin-Buch „Hier und jetzt – und einmal“ verlegt hatte. Von Ingolf Brökel gibt es inzwischen drei Titel: „anna lust“, „im abraum“ und „den nachfahren“. Ein Interviewband mit Günter Kunert ist in Planung.
Es gibt leider nur wenige Buchhandlungen, in denen meine Bücher ausliegen. Ja, ich habe es nicht einmal geschafft, im bedeutendsten Buchladen von Dahlem meine Bücher unterzubringen. Der war einmal aus dem zur Studentenbewegung geradezu legendären „Jürgens Buchladen“ hervorgegangen. Inzwischen habe ich das Klinkenputzen und unverlangte Aussenden von Rezensionsexemplaren nahezu eingestellt und konzentriere mich auf die Ansprache der Leser direkt. Da helfen mir meine Verlagsseite bei facebook und mein Internetauftritt.
Ich habe mich darauf verlegt, mir eine Interessentenschar aufzubauen, die immer wieder mal schaut, was es in der dahlemer verlagsanstalt Neues gibt. Zum Glück funktioniert das inzwischen ganz gut. Außerdem besuche ich kleine Buchmessen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, auch Stadtteilfeste und spezielle literarische Ereignisse. Besonders wichtig ist mir der Auftritt zur Leipziger Buchmesse, während ich nach Frankfurt lediglich als Fachbesucher komme und befreundete Verleger treffe, um mich zu informieren und auf dem Laufenden zu bleiben.
Wie halten Sie es mit Amazon?
Gar nicht! Vor einem Jahr erhielt ich einen Anruf und später sogar einen Besuch auf der Buchmesse. Denen sagte ich jeweils, dass eine Zusammenarbeit ausgeschlossen sei, solange sie nicht einmal fähig oder bereit seien, zu meinen Büchern die korrekten Preise zu nennen: Die sind dort teurer als bei mir! Auch nach diesen Gesprächen haben die nichts geändert. Was soll ich mit solch einem „Partner“? Für einen kleinen Verlag sind die Rabatte zu hoch und deren Prohibitions-Konditionen halte ich für unzumutbar. Weit interessanter wäre mir eine zukünftige Zusammenarbeit mit dem Indie-Buchhandel!
Wie halten Sie es mit dem Börsenverein für den deutschen Buchhandel?
Ehrlich gesagt: Ich bin kein Freund von Verwaltungen und Interessenverbänden. Ich war mal Mitglied im Verein Berliner Bücherfest. Heute bin ich froh, dass ich da schnell wieder raus bin. Ein kurzfristig wunderschönes Bücherfest wurde leider wieder abgeschafft. Schade! Nee, da kann der Börsenverein noch so locken, ich fühle mich durch ihn nicht vertreten!
Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?
Menschen, die solide gemachte Bücher lieben und Sinn für Sprache und Themen haben, will ich mit meinem Programm ansprechen. Weil ich ohnehin nur einen Bruchteil der interessanten Projekte, die an mich herangetragen werden, realisieren kann, habe ich mir ein ganz gutes Portfolio schneidern können. Das besteht vorrangig aus erstaunlich viel Lyrik, obwohl die schwer abzusetzen ist; aus Romanen, die zeitgeschichtliche Themen aufgreifen oder Beziehungskonstellationen schildern – und auch aus Krimis, vor allem Politkrimis. All diese Bücher verbindet die intensive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gegenstand. Marktnische? Eher nicht. Mich stört es nicht, wenn sich in eine Liebesgeschichte ein Krimi mit einschleicht oder ein Roadmovie ganz nebenbei mal die Zeugen Jehovas unmöglich macht. Ich liebe Grenzverletzungen – wenn sie gut gemacht sind.
Mögen Sie das etwas ausführen?
Mal ein konkretes Beispiel aus der letzten Zeit: Rainer Schildberger hatte als Vorlage zu zwei von ihm geleiteten Schreibschulen einen Nachruf aus dem Tagesspiegel kopiert, in dem Gregor Eisenhauer eine glühende Eloge auf den leicht skurrilen bildenden Künstler Albert Müller verfasst hatte. Daraus sollten sich die Autorinnen und Autoren ein, zwei Aspekte aussuchen und eine Story entwickeln, in der dieser – allen Beteiligten unbekannte – Künstler wiederaufersteht. Heute sind die 53 Geschichten in dem bewegenden Buch „Brandschatz – Die Erfindung einer wahren Geschichte“ erschienen. Ergänzend finden sich da auch der besagte Zeitungsartikel von Gregor Eisenhauer und Interviews mit zwei der drei Ehefrauen und mit der Tochter, die die erfundenen Geschichten vorsichtig zurechtrücken. Das Zusammenführen von erfundener Biographie und Berichten zum wahren Künstler ergibt ein facettenreiches Portrait! – Solch ein Projekt wäre in einem kommerziellen Verlag schon deshalb durchgefallen, weil es schwer zu platzieren ist. Mich stört das nicht. Die dahlemer verlagsanstalt will und kann sich das leisten, weil ich weiß, dass die Story gut ist!
Wo sehen Sie für Ihren Verlag die größten Chancen?
In der Kundenpflege. Das fängt im Herstellungsbereich an, betrifft die Zusammenarbeit mit den Autorinnen und Autoren und schließlich die Leser. All die sollen die dahlemer verlagsanstalt als verlässlichen Partner erfahren. Wenn das klappt, hält sich mein Verlag am Markt.
Welche besonderen Risiken verorten Sie für Ihren Verlag?
Dass die dahlemer verlagsanstalt niemand weiter betreiben will, wenn ich nicht mehr kann – aber bis dahin mag es bitte noch eine Weile dauern!
Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?
Vor allem, dass sie nicht ständig nach Absatzzahlen schielt, sondern einfach Mut beweist!
Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?
Ohne verlässliche Partner eher die Finger davon zu lassen: Viel Arbeit, Stress und Generve – andererseits aber auch die Beschäftigung mit tollen Themen, noch tolleren Menschen und ein unerschöpfliches Gebiet, Kreativität zu entwickeln!
Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?
Ein wahrer Künstler rundum ist Christian Ewald mit seiner Anderhalbmann Katzengraben-Presse in Berlin- Köpenick. Christian veröffentlicht lediglich zwei Bücher im Jahr: Das eine, wenn die Blätter kommen, das andere, wenn sie fallen … Die Katzengraben-Presse ist einer der ganz wenigen Verlage Deutschlands, die noch im Bleisatz und im Buchdruck ihre Editionen fertigen, auch zweisprachig Texte, – und besonders: Erst-Ausgaben!
Große Bewunderung empfinde ich auch für den mandelbaum verlag von Michael Baiculescu in Wien. Er scheut heiße Eisen nicht, publiziert politisch wichtige Themen und hat gleichzeitig ein Kulinaria-Programm, das die Verlagsmannschaft als sinnenfroh ausweist. Doch, die können etwas vormachen! – Und das sage ich nicht nur, weil mein Herz eh eng verknüpft ist mit der österreichischen Kultur. Von da könnte ich noch einige Verlage nennen.
Herzlichen Dank für diesen Einblick, Michael.
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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier
Die dahlmer verlagsanstalt im Netz:
Die Homepage: www.da-ve.de Dort befindet sich auch ein Online-Shop, über den man direkt bestellen kann.
Bei Facebook unter dahlemer verlagsanstalt. Da gibt es auch die Ankündigungen zu den Lesungen, immer gegen Mitte des Monats im Morgenstern – Antiquariat und Café in der Schützenstraße 54 in Steglitz – einwichtiger und verlässlicher Partner der dahlemer verlagsanstalt.