„Eine Darstellung einstmals bedeutender Ereignisse“ von B. Claus DeFuyard

Nach Adlon. Ein Trostschreiben von Ubiquiste, Auszügen aus Die Siechendienerin von Enzor Fadar oder den kritischen Anmerkungen von B. Claus DeFuyard zu apostrophierten Keimlingen der deutschen Gegenwartsliteratur und orakelnden Samenhändlern im Feuilleton (Die Gewächshaus-Generation) präsentiert SteglitzMind heute abermals einen Beitrag aus dem KULTURFLÜCHTER. Ganz von ungefähr kommt das nicht. Seit längerem begleite ich das literarisch ambitionierte Projekt mit Biss, das sich Un-Periodikum nennt, weshalb ich die Rubrik „Der Kulturflüchter auf SteglitzMind“ einrichtete, in der in loser Folge Beiträge und Textauszüge aus dem Un-Periodikum vorgestellt werden.

Heute –  (recht-) frühzeitig zum heißen Herbst – der entideologisierte Ferdinand Lassalle, dem sich neben B. Claus DeFuyard („Wir wissen jetzt schon, dass die bevorstehenden Wahlen nicht halb so amüsant verlaufen werden … haben wir das verdient?“) auch die Berliner Künstlerin Susanne Haun angenommen hat. – Ich sage beiden danke.

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Nachrufe auf Ferdinand Lassalle …

die können sich sehen lassen; bissig-polemisch, mitunter oberflächlich, rassistisch, nicht wenige ließen ein gutes Haar an ihm. Heinrich Heine nannte ihn, obwohl befreundet, einen ‚furchtbaren Bösewicht‘; und Karl Marx ließ sich zu Schimpfereien hinreißen, es reichte vom ‚jüdischen Nigger‘ bis zur ‚geilen Brunst dieses Idealisten‘. Lassalles deutsch-nationale Gesinnung und sein Eintreten für den deutschen Einheitsstaat war Marx suspekt – also ein wirklicher Unhold nach Ansicht einiger, für andere wiederum ein ‚Wohltäter und Erlöser‘. Sophie Gräfin von Hatzfeldt: ‚Ein ganzer Mann aus einem Guss … dass ihn groß in großen Dingen machte‘. Sie war seine fürsorgliche Freundin.

Der Gründer der deutschen Arbeiterbewegung bleibt den Erben in nicht angenehmer Erinnerung. Lassalle, ein Arbeiterführer des 19.Jahrhunderts, deutscher Jude, Objekt ungezählter Biographien und politischer Analysen. Er befand sich im Sommer 1857 auf dem Höhepunkt seines politischen Einflusses. Er entsprach in keinem der entworfenen Klischees dem Bild eines Arbeiterführers und tat selbst nicht wenig, um die gängigen Vorurteile gegen ihn zu nähren.

Mein Sinnbild von Lassalle © Zeichnung von Susanne Haun

Mein Sinnbild von Lassalle © Zeichnung von Susanne Haun

Die im Folgenden vorliegende Erzählung ist kein Versuch, den Auseinandersetzungen um Lassalle weitere hinzuzufügen. Es betrifft vor allem sein privates Leben und seine Vorstellung einer ’national-sozialen‘ Revolution gegen die Marx’sche Internationale, sein von ihm selbst so bezeichneter ‚Hunger nach Frauen‘ und auch die physische Last, die seine fortschreitende Krankheit (Syphilis) mit sich brachte; und Bernhard Becker, 1868 in seinen »Enthüllungen«, benannte – ‚Seine mädchenhafte Eitelkeit … der fadesten Schmeichelei zugänglich … bis hin zum unbeugsamen Eigensinn gesteigerten herrischen Wesen … seine Genußsucht in Beziehung auf Frauen … verwundbare Stellen an dem sonst so gut gewappneten Mann.‘

Nach Georg Brandes, 1888, »Ferdinand Lassalle« ein ‚Verächter der öffentlichen Meinung … ausgeprägter Geistesaristokrat und Sozial- Demokrat … größere Gegensätze als diese … hegt (man) nicht ungestraft in seinem Gemüt.’

Hans-Jochen Vogel, ehemaliger SPD-Vorsitzender, würdigte zum 125. Todestag das ‚Mindestmaß‘ der Verdienste Ferdinand Lassalles: ‚Seine historische Leistung war eine politische, nämlich die Lösung der Arbeiterbewegung aus ihrer Abhängigkeit vom liberalen Bürgertum durch Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins.’ (Leipzig, 23. Mai 1863)

Heute, 150 Jahre später, mutet der unverhohlene Hinweis einiger Autoren – auch im Zusammenhang mit der Historie und Deutschlands vermutlich heißesten Herbst 2013 – auf eine ’mögliche’ Kanzlerschaft eines SPD-Kandidaten’ eher seltsam an. Als wäre die Lassalle’sche Geschichte auf einmal eine doch gut überdachte Folge übereinstimmender Momente gewesen – denn mehr muss man über Ferdinand Lassalle nicht erfahren und darüber hinaus mit ihm nichts zu tun haben. Das Mindeste ist das Äußerste. Basta.

Lassalle’s Leben endete kolportageartig am 28. August 1864 in Genf. Er starb in einem Duell nicht für die Idee des Sozialismus, sondern aus gekränkter Eitelkeit. Es ging um eine Frau, als die Kugel das Organ traf, das seinem genervten Widersacher aus der rumänischen Walachei stammenden Janko Rakowicza … verhasst gewesen sein musste. Lassalle wurde nicht einmal vierzig Jahre alt. Seine letzten Zeilen: ‚Ich erkläre hiermit, dass ich selbst es bin, der seinem Leben ein Ende gemacht hat‘. Märchen und Legenden entstanden.

Die Deutsche Arbeiterbewegung, die Lassalle wie ein Monarch organisiert hatte, stockte. Sein Tod ist von vielen nicht geglaubt worden. Kläglicher Sektenstreit entstand.

Am 14. September 1864 fand er in Breslau, seiner Heimatstadt, seine letzte Ruhe. Sein Grab auf dem stark verwüsteten jüdischen Friedhof im heutigen Wroclaw, blieb unangetastet. Ab und zu legen Unbekannte Blumen nieder. Unglaublich. Der erste Führer der deutschen Arbeiterbewegung ist nicht vergessen. Aber erst 1875 entstand die radikale sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands und wurde durch ihren internationalen Anspruch – staatsfeindlich. Und das hier ist auch der Lassalle, das heißt, Geschichten aus seinem privaten Leben – erzählt auf eine eher moderne Art und Weise; es geht um seine letzten ’heroischen‘ Jahre.

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere führte er ein aufregendes Leben, dramatisch verlief das eigene Schicksal, dramatisch sein politischer Weg. Alexander von Humboldt: „Ferdinand ist wie eine Kerze, die an zwei Enden knistert“ und der Philologe Friedrich August Böckh bemerkte: „Was für ein wildes Leben.“ Darin lag wohl ein Schaudern und weitaus mehr – Bewunderung.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts wirkte sich Fortschritt und technische Errungenschaften, die reiche Bildung des Bürgertums, die eine vorangegangene Generation auf den Weg gebracht hatte, aus. Die höfische Kultur befand sich auf dem Rückzug, während das Bürgertum zur führenden Schicht aufstieg.

Allerdings standen die wissenschaftlichen, philosophischen und literarischen Leistungen in einem krassen Verhältnis zu ihrem politischen Stellenwert. Die wahren Herrscher ließen die Bürger zwar jeden geistigen Gipfel erklimmen; den Anteil an der Macht und damit der gesellschaftlichen Verantwortung gewährte man ihnen nicht. So ist es geblieben. Die Folgen waren Mangel an Wirklichkeitssinn, Rückzug in die Resignation. Vor den städtischen Unterschichten, vor den Bauern im Elend schlossen die Bürger die Augen. Sie lebten für sich und ihren Interessen.

© Der Kulturflüchter

© Der Kulturflüchter

Ein Mann wie Ferdinand Lassalle erregte Aufsehen. Er setzte sein nicht unbeträchtliches Vermögen für seine politischen Ziele, für die Umsetzung seiner Ideale ein. Aus dem Blickwinkel derjenigen, denen die Konfrontation mit einem Lebemann und Sozialisten Bewunderung, aber auch Unverständnis auslöst: Vor dem Hintergrund einer sich überschlagenden industriellen Entwicklung gehörte Lassalle dennoch zu den Visionären, die Gerechtigkeit wollten und die nationale Einheit der Deutschen, im Gegensatz zu Marx und Engels. Ihm hat es Ärger und Verfolgung eingebracht.

In den »Gesammelte Reden und Schriften« schreibt Eduard Bernstein: ‚Er (Lassalle) nimmt bei oberflächlicher Bekanntschaft menschlich eher gegen sich ein. Fast alle … die ihn noch gehört und gesehen, erzählen mehr Ungünstiges als Günstiges über ihn. Sie hatten ihn eben nur halb kennen gelernt – seine gewiss großen Fehler gesehen, aber nicht seine größeren geistigen Eigenschaften erkannt und gewürdigt … aber wo es um den Menschen und sein Lebenswerk geht, da ist Gerechtigkeit ohne Liebe überhaupt keine Gerechtigkeit … auf die dieser Genius einen Anspruch hat.‘

Ein Lassalle passt heute in kein politisches Konzept. Man drängt uns förmlich einen ausgebufften Langweiler auf, dessen Kompetenz nur gruseln macht, wiederholt gebetsmühlenartig die zum Schlagwort geschrumpften Begriffe von Freiheit und Gerechtigkeit – als wären alle anderen dagegen – es reicht nur nicht über das grundsätzliche Einvernehmen hinaus, wenn seit 2000 Jahren Menschheitsgeschichte auch jedes, auf das vermeintlich Wohlergehen abgegebener Versprechen, am Ende doch gebrochen wurde.

In den Jahren 1857 bis 1864 verzettelte Lassalle sich in Liebesaffären und mehr und mehr beeinflusste das auch seine Mission, zu der er sich berufen fühlte. Er war ein Sammler von Gemälden, Antiquitäten und schönen Frauen. Es ging über seine Kraft. Am Dämon Lassallescher Leidenschaft gemessen, macht sich der heutige Vorsitzende wie ein Biedermann aus. Er sammelt Asterix und Obelix und das sichert ihm schon Lob und Anerkennung, was er denen, die sein Engagement nicht teilen, gerne vorenthält.

Franz Mehring überlässt es in der »Geschichte der Deutschen Sozialdemokratie« den ’bürgerlichen Romanfabrikanten, sich  ihren Lassalle zurecht zu kneten‘. Da ist sicherlich Wahres dran.

© 2013 Der Kulturflüchter N° 6 (die Erzählung in Gänze wird gesondert publiziert)

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Das Un-Periodikum „Der Kulturflüchter“ erscheint im Zeitlichkeitverlag, Herausgeber ist B. Claus DeFuyard. Zum Blog des Kulturflüchters geht es hier

„Solche Windstöße sind gut, die Düsterheit der deutschen Buchhändelei aufzuklären.“ (Goethe)

B. Claus DeFuyard erinnert sich: an die Erlebnisse eines Autoren, der in den literarischen Betrieb auszogen war, um dort das Fürchten zu lernen. Aus seinen Erfahrungen mit Neppern, Schleppern, Literaturkritikern und Juroren zog er den Schluss: „Man muss sich um sich selber kümmern.“ Womit der Grundstein für den Zeitlichkeitverlag gelegt war. Hier erscheint u.a. das Un-Periodikum „Der Kulturflüchter“, aus dem ich in der Rubrik „Der Kulturflüchter auf SteglitzMind“ in loser Folge Beiträge und Textauszüge vorstelle.

Vom Uhu, Meisen und großen Leuchten. Erinnerungen von B. Claus DeFuyard. Von wem sonst?

Es gibt Geschichten, mit denen sich Verleger immer schwer getan haben. Dokumente des Alltäglichen sind zur Genüge auf dem Markt. Mehr war nicht erwünscht. Hier jedoch geht es um eine Geschichte, in der ein Unberufener in der Einfalt seines Denkens unter die Räder eines Bezahlverlages geriet. Das war einmal. Auf sich gestellt, hatte er keine andere Wahl. In einem „rezessiven Markt“ wäre die Lieferbarkeit eines „vorfinanzierten Buchbestands“ die einzige Lösung – behaupteten sie. Das äußerliche Blendwerk, mit dem etliche Verleger ihr Sammelsurium von Sinn und Unsinn bezeichnen. Vom Image eines Nepper-Schlepper-Autorenfängers in den Abgrund pauschaler Nichtachtung gestürzt, drohte dem Autor lebenslänglich. Quasi für falsches Parken.

„Solche Windstöße sind gut, die Düsterheit der deutschen Buchhändelei aufzuklären.“, so der Jot Wolfi Goethe.

Eine Literaturkritikerin drückte sich in angeborener hochnotpeinlicher Zurechtweisung aus: „Ich fürchte“, schrieb sie, „das Buch kommt nicht in Frage, weil wir Bücher aus Bezahl- oder Zuschussverlagen nicht wahrnehmen.“ Man beachte demnach Gammelfleisch, pöbelnde Politiker, Dummheit an sichindes, nichts wahrzunehmen ist wahrlich der Höhepunkt schlaffer Inkompetenz. „Ihr Schreiben“, antwortete der gedemütigte Autor, „hat mich sehr getroffen. Ich bin nicht der Verleger, vor allem nicht der Verleger, wenn wir beide denselben meinen. Ich habe mit ihm nichts gemein. Ich bin nur verzweifelt.“

So besehen ist die Geschäftsphilosophie dieser Art von Verlegertätigkeit die reinste Rosstäuscherei, ein Hütchenspiel. Zum Mythos gehört, dass diese Spezies in ihrem verdammt Bisschenleben an anderen herumfummeln dürfen und ’Löcher in sie schlagen’. „Große Lichter sind die wahrlich nicht, nur große Leuchter. Sie handeln mit anderer Leute Meinungen.“ (Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbuch 1793)

irgendeinen Vogel hat jeder! Uhu oder Meise ... © Dierk Arnold / Der Kulturflüchter

irgendeinen Vogel hat jeder! Uhu oder Meise … © Dierk Arnold / Der Kulturflüchter

Auf dem Flohmarkt, wo früher mit rostigem Hausrat und Sperrmüll gehandelt wird, mit Resten von Goethe, Schiller und Schopenhauer, den Memoiren begnadeter Spaßmacher – beantwortete auch der Autor die Sinnfrage: „Man müsse sich um sich selber kümmern“, mit einem melancholischen Seitenblick auf Buch und Titel: ein Uhu vor einer alten Eiche, an deren Ästen Menschen hängen. „Der Uhu“, erklärt der Autor, „ist für den Unfug in den Köpfen des Menschen verantwortlich. Sag bloß“, so eine beiläufig Interessierte und staunte. „Der Mensch – ein Uhu? „Na ja – einen Vogel hat jeder“, antwortet der Autor, „alle hätscheln und tätscheln ihn – allein die Größe des Vogels hängt von der Bedeutung seines Besitzers ab – Meise oder Uhu.

Eine nicht sehr massenkompatible Geschichte und die meisten haben doch schon ein Buch. Und neuerdings das iPad – sie benötigen das Buch nicht. Die auf das aktuelle Geschehen reduzierte Nachrichtenprosa, macht Schreiben an sich schon zu einem Umweltdelikt.

Doch zurück zu damals: Ein Literaturkritiker – Mitglied einer Zunft, ein Wortrichter und der Kunst des Urteilens verpflichtet – dem der Namenlose sein Manuskript entgegen streckte, pflegte dann auch im Sinne einer buchstabendeutenden Zeichensetzung das Skript erst vom Moder und Staub zu befreien: „Der Text sei wie nicht sauber gespültes Geschirr …“, lautete die inquisitorische Metapher. Die einzige zulässige Rechtfertigung wäre: Autoren seien eben keine Menschen. Ringen mit ihren Visionen. Verzweifeln an der Buchmacherei. So kommt es, dass manche Autoren eine unglückliche Verrückung durchmachen, unablässig darüber nachdenken, in welcher Nische sie überdauern können, stets ums eigene Ich kreisen, zu dem oft nichts Ausreichendes zu vermelden ist, um sich vorbehaltlos darüber zu äußern.

Dennoch: Der Autor, dem Auditorium schließlich zum Fraß vorgeworfen, stand wie unter Hypnose. Er las. An der Stelle, als der Protagonist seiner Geschichte den Abhang herunter in ein schwarzes Loch plumpst, verabschiedete man den Autor vor laufender Kamera und trieb ihn derart öffentlich ab. „Ich sage Ihnen“, lächelte einer der Juroren, „was ich nicht sagen sollte, aber sagen muss – und nicht einmal weiß, ob jeder Mensch die Wahrheit verträgt, die natürlich nur meine Wahrheit ist: dem Urheber des soeben erledigten Textes, sollte das Handwerk gelegt werden. Er verbreitet Angst und Schrecken.“ Applaus. Gelächter.

Der Deuter der Autoren Not nennt Literatur Leben, das Leben Wahrheit, die Wahrheit Lüge, die Lüge Wirklichkeit und die macht sich über uns lustig. Er beschreibt die Veränderung des Verlagswesens, die in gewisser Hinsicht den Autoren am liebsten das Schreiben verbieten möchte. Und dann auf einmal das Internet. Dies irae – dies illa – der Tag des Zornes, die Antwort der Moderne auf das Weltgericht. Nur, wie es ausgeht, wissen wir noch nicht.

Der Autor erinnert sich: Gleichsam geteert und gefedert, beherrscht er seine Betroffenheit bis zum Grad der Selbstverleugnung. Er wurde verabschiedet, erhob sich – er, der vor der Lesung noch euphorisch verkündete, er habe vom Auditorium bis zum Podium dreißig Schritte gezählt und dafür ganze dreißig Jahre benötigt. Dann flüchtete er. Es blieb ihm, sich selbst zu subventionieren. Jetzt ist es soweit. Vom Regen in die Traufe.

Es obsiegte die Zierde der Literatur – eine liebliche Buchstabengestalt – für ihr Erstlingswerk: „Redundanz“. Die eigentliche und uneigentliche Bedeutung des Wortes ist: Überfluss – der Roman einer fiebrigen Spermatologin. Sie erhielt den Preis und ein illustres Blumengebinde. Die Literatur trieb Blüten. Und Blüten ihre Triebe. Mit viel buntem Staub an Ideen und Träumen. Es lebe der Uhu, der Urvogel in uns allen, der starke Vogel ohne Stimme, der immer nur seufzt. Es ist jedoch nicht das Ende der Geschichte.

Gerechtigkeit – Allerweltshure – Ankündigung mit Anspruch – nur, wer viel davon spricht, sorgt für das Scheitern von Gerechtigkeit. Wollen mal sehen … was aus uns noch werden kann, wenn die unsinnigen Gesetze weiterhin Beachtung finden. Spitzenkräfte auswandern. Ehrgeiz bestraft, Besitz verteufelt wird. Gott hat sich verlaufen. Das Sagen haben die Versprecher und Versager. Stillstand ist Fortschritt. Die Langsamen fressen die Schnellen.

Und jetzt wird das „Schreiben von Büchern ein kollektives Abenteuer: Das Publikum mischt mit.“ (Leser mach’s dir selbst, in: ZEIT ONLINE 31.01.2013)

© 2013 Der Kulturflüchter N° 1

Nachzulesen sind DeFuyards Erinnerungen „Vom Uhu, Meisen und großen Leuchten“ in: Der Kulturflüchter N° 1. Das Un-Periodikum erscheint im Zeitlichkeitverlag, Herausgeber ist B. Claus DeFuyard. “Der Kulturflüchter” präsentiert sich in Bälde auch mit einem Blog

Der Kulturflüchter auf SteglitzMind: Die Gewächshaus-Generation von B. Claus DeFuyard

Nach „Adlon. Ein Trostschreiben“ von Ubiquiste und Auszügen aus „Die Siechendienerin“ von Enzor Fadar präsentiert SteglitzMind heute abermals einen Beitrag aus dem KULTURFLÜCHTER. Ganz von ungefähr kommt das nicht. Seit längerem begleite ich das literarisch ambitionierte Projekt mit Biss, das sich Un-Periodikum nennt. Deshalb richtete ich die Rubrik „Der Kulturflüchter auf SteglitzMind“ ein, in der in loser Folge auch zukünftig Beiträge und Textauszüge aus dem Un-Periodikum vorgestellt werden.

B. Claus DeFuyard ist Herausgeber des Kulturflüchters. Sein heutiger Beitrag beschäftigt sich mit jungem Gemüse – mit apostrophierten Keimlingen der deutschen Gegenwartsliteratur und orakelnden Samenhändlern im Feuilleton. Die Illustrationen dazu fertigte die Berliner Künstlerin Susanne Haun eigens an. Ich bin stolz darauf, die Zeichnungen an diesem Ort erstveröffentlichen zu dürfen und sage Susanne herzlich dafür danke!

B. Claus DeFuyard: Die Gewächshaus-Generation

Es gehört dazu Mut, eher noch Risiko, in einem funktionellem Glashaus das Bild junger Genies zu entwerfen, die mal eben begonnen haben auf allen Vieren der Schriftstellerei Werkspuren zu hinterlassen, von denen gemunkelt, nein, gemutmaßt wird, sie würden „unsere literarische Landschaft verändern“. Wir wissen nicht, was den Creativen der ZEIT vorschwebte, Deutschlands jüngste Autorengeneration für das Titelblatt der Literaturbeilage zur Buchmesse 2012 zu einem Fototermin in einem Gewächshaus, einem Treibhaus, zu versammeln und zu einem Werkstattgespräch über die deutsche Gegenwartsliteratur zu laden. Das ist augenblicklich ein Unterfangen, vielleicht vergleichbar mit der Entdeckung Amerikas seinerzeit, ohne einen Schimmer gehabt zu haben, was da am Ende herauskommt.

Blatt 1 Gewächshaus-Generation © Susanne Haun

Blatt 1 Gewächshaus-Generation © Susanne Haun

Der am 22. Januar 2013 von 3sat ausgestrahlte Beitrag Literarische Ich-AG – Kulturvermarktung im Internet weckt Erinnerung an den Früchtegroßhandel im nachhaltig aufgespießten Gewächshaus-Artikel und will zwischen der im schlimmsten Fall als „notwendiges Übel“, andernfalls „als Goldgrube“ bezeichneten „neuen, digitalen Welt“ eine Mission erkennen, um die „Masse zu überzeugen“. Nach wie vor erwächst zwischen der ‚Gewächshausgeneration‘ und dem fundamentalistisch anmutenden Bekenntnis zum Digitalen der Unterschied zwischen zwei Glaubensrichtungen und eine davon, das ist voraus zu sehen, wird der Verwilderung anheimfallen. Es wird sich für die Autoren nichts ändern. Die einen sind ‚in‘, die anderen bleiben ‚out‘ (s. Kulturflüchter N° 4).

Der Vorteil eines Gewächshauses liegt in der künstlich erzeugten Wachstumsperiode, die es möglich macht, zu jeder Zeit im Jahr Gemüse und Früchte, Kräuter und Blumen zu ernten. Wäre eine Orangerie als Motiv nicht geeigneter gewesen? Wo Zitronenbäume, Bananen und Pomeranzen gedeihen. Auch der Botanische Garten, mit seiner bewunderten Flora und mitunter wundersamen Schmetterlingen, die wiederum, wem das Gleichnis gefällt, in ihrem Vorleben doch nur Raupen waren. Soviel Sinnbildnerei trägt man dem Leser an, bei Ansicht des Titels: um diese zu entziffern. Die Allegorie ist nicht zu übersehen. Das hat es noch nie gegeben – ohne sich zu ereifern, Missvergnügen über das Glück anderer zu empfinden, da ein Funke des Bedauerns mitschwingt, der vorerst weniger den so gnadenlos Belobigten gilt, als der Inszenierung, zu der, einer defätistischen Neigung zufolge, unweigerlich gewisse Assoziationen führen.

Und was sonst einem zur Einrichtung und Pflege winteranfälligen Gemüses einfällt – Gurken und Tomaten. Zarte Sprösslinge erst, die – wenn überhaupt – nur außen und in gemäßigtem Klima gedeihen und in eben einem solchen Gewächshaus vor Wind und strenger Witterung geschützt werden müssen. Nur, wer möchte gerne eine Tomate sein? Oder eine Gurke? Ein Früchtchen?

Ja, „Da wächst was nach.“  Klar, nur kräftig gießen und düngen. Einzigartig ist der großzügige Vorschuss, den man den Keimlingen seitens des Früchtemarktes aufdrängt: angesichts der weit verbreiteten Legasthenie – es steht ja in der Zeitung. Ergo: Stimmt’s.

Eine feierliche Beschwörung, dass etwas so sei – zum Erfolg verdammt – ohne eine Ahnung, was der Auslöser für den Auftritt sein könnte. „ICH werde zurückkehren …“, griff der freundliche Rezensent und Makler ein spärliches Zitat auf und mit Wortgebilden hart an der Satire, es „klingt nach festem Willen und nach innerer Stärke“ und mutmaßte: bei den „Figuren, die in diesen Romanen eine Rolle spielen … ziemlich jung … fällt jede Bewegung dramatisch aus, sie führt ins Leben hinein oder: an ihm vorbei …“ Klar. Entweder oder. Und so gerieren sich die orakelnden Samenhändler – die Gewächshausgeneration als ‚literarische Herostraten‘ zu feiern. Diese aber sind unschuldig. Sie „… und die Poesie des Nüchternen sind nichts gegen die Poesie des Rasenden“ – aus der Mottenkiste des Plato im Dialog mit Phaidros – und womöglich ist es ihnen unangenehm als Gruppe vereinnahmt zu werden.

FrüchteschwangerBlatt 2 Gewächshaus-Generation © Susanne Haun

Früchteschwanger
Blatt 2 Gewächshaus-Generation © Susanne Haun

Es erinnert an einen Satz: „Der Gegenwartsautor tritt als Gruppe auf.“ Iris Radisch DIE ZEIT Aha! (s. Kulturflüchter N°1) – Als Pool, als Quintett, als Fraktion. „Einsam sein ist Scheiße, so ein Betroffener. Es herrscht Fraktionszwang. Man muss sich von jeder Autorenherrlichkeit frei machen“. ( SZ Nr.139/2000) Die armen Dinger – und zwei männliche Wesen als Draufgabe – als verabreichte man ihnen ein Aphrodisiakum, in Sorge, wie denn die über sie verhängte Weissagung auch erfüllt werden könne? Es ist ein Wagnis, innerhalb der gläsernen Wände eines Gewächshauses die Bedeutung jugendlicher Dichterseelen zu beschwören, als sei hier der Jahrgang für die Exorbitanz der Betrachtung maßgebend. Jungsein allein genügt ja nicht. Altsein schon gar nicht. Und die dazwischen liegen, gerade mal eben dem Gewächshaus entnommen, plaudern munter drauf los, wie es ist, wenn man so ist, man sich fühlt im Leben. Gegenwärtig ziemlich grauenvoll. „Und davon lohnt es sich zu erzählen.“ Von der Wahrheit, jeder Verheißung, der guten Absicht – nach uferloser Zeit, vielleicht im Jahr 2022 –  wir werden nicht mehr da sein – aber schauen Sie mal, inwieweit die derart in Szene gesetzten Dreißiger sich „verändert haben“ und der Hoffnung entgegen kommen.

© 2013 Der Kulturflüchter N° 4

Das Un-Periodikum erscheint im Zeitlichkeitverlag und wird von B. Claus DeFuyard herausgegeben. – “Der Kulturflüchter” präsentiert sich in Bälde auch mit einem Blog

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„Die Zeichnung ist für mich wie ein zusätzliches Sinnesorgan. Wenn ich lese, entstehen Bilder in meinem Kopf, die ich in Tuschezeichnungen umsetze,“ so die Berliner Künstlerin Susanne Haun.  – In Berlin sind Werke von ihr derzeit hier zu sehen:

Der Sommer trifft auf weiß – Zeichnungen von Susanne Haun, Gemälde von Conny Niehoff (23. Januar – 3. März, Alte Bahnhofshalle Berlin/Friedenau, Bahnhofstr. 4d, 12159 Berlin)

Dämone – Zeichnungen und Leinwände von Susanne Haun, Lyrik von Diarmuid Johnson (29. Januar – 7. März, Irische Botschaft Berlin, Jägerstr. 51, 10117 Berlin)

Der Kulturflüchter auf SteglitzMind: „Die Siechendienerin“ von Enzo Fadar

Vergangene Woche präsentierte SteglitzMind mit „Adlon. Ein Trostschreiben“  von Ubiquiste erstmals einen Beitrag, der dem „KULTURFLÜCHTER“  entnommen ist. Ganz von ungefähr kommt das nicht. Seit längerem begleite ich das literarisch ambitionierte Projekt mit Biss, das sich Un-Periodikum nennt. Nun bin ich stolz darauf, die Rubrik „Der Kulturflüchter auf SteglitzMind“ eröffnen zu können. Darin werden in loser Folge Textauszüge aus dem Kulturflüchter vorgestellt.

Heute Aufzeichnungen einer Pflegerin, die Bezug auf eine Nachrichtensendung nehmen, die am vergangenen Wahlsonntag lief. Eine Anmerkung zum Autor: In einem Alter, das andere längst hinter sich gelassen hat.

Die Siechendienerin. Nach dem Tagebuch einer Pflegerin von Enzo Fadar

„Nur ein Tag im Leben (!) eines Menschen in einem Altenheim, auch heute, wie in alten Zeiten eher in einem Siechenhaus, einer ‚Einrichtung für die Aufnahme und Verpflegung von Todgeweihten‘, zumeist sehr liebenswerten Menschen, deren Schicksal einem das Herz erweicht. Keiner sucht sich sein Ende aus, wie bei einem Roulettespiel ist der Ausgang ungewiss. So, wie ich es erlebe, kann es Jeden treffen, mich und die von Nebenan.“

„Ich versorge in Schichtarbeit zehn Alte, folge einem strengen Zeitplan, jeder möchte sich mit mir unterhalten, aus Mangel an Pflegepersonal sind enge Beziehungen nahezu unmöglich und doch versuche ich die Arbeit so menschlich als möglich zu gestalten: Das fällt sehr schwer und es mag auch enttäuschen.“

Horst Wagner 2013  © Der Kulturflüchter / mit freundlicher Genehmigung »galerie for you« - Rostock

Horst Wagner 2013 © Der Kulturflüchter / mit freundlicher Genehmigung »galerie for you« – Rostock

„Es wird immer so viel von der Würde des Menschen gesprochen und gerade hier wäre diese erforderlich, sie einzufordern. Das einzige, was hier nicht stimmt, ist das Leben selbst, das sich nicht gerade von der besten Seite zeigt. Es ist rücksichtslos denen gegenüber, die hier ihre Tage verbringen, auf Greisenhöhe reduziert, ihr bisschen Leben im Zustand der Auflösung – involtio senibilis – dem alle organischen Wesen am Ende verfallen; das Augenmaß geht verloren, es ist abenteuerlich auf Schritt und Tritt und eine Zumutung noch im Fortgang gewisser vegetativer Verrichtungen. Es ist müßig, über Alter und Elend, einen langen Abschied, das Sterben zu philosophieren und mit meiner Erwartung ans Leben so furchtbar und hoffnungslos, was denen nichts bedeutet, die vergleichbar noch unbekümmert daherkommen. Vom Diesseits und etwas schon vom Jenseits, davon können auch nur die aussagen, die sich in der Grauzone im Übergang befinden. Niemand weiß es, ich kann auch nur ahnen, unter welchen Schmerzen und seelischer Verzweiflung sie leiden. Und das Tag für Tag. Solange sie leben.“

„Einige der Herrschaften (!) sind redselig, etliche kindisch, vielleicht auch schwachsinnig, während Herz und Leber sich verkleinern, die Nieren schrumpfen, die Haut dünner wird, die Gedanken sich im Kreis herum drehen – das Alter ist die Summe aller Störungen, die überhaupt noch denkbar sind. Darüber zu schreiben, ohne Schnörkel, nicht ohne Humor, ist mein Anliegen. Es ist hart und nichts für die im Dunst ihrer Wellness-Oase. Würde sieht in diesen vier Wänden anders aus, als ‚innerer Wert‘, eine ‚hoheitsvolle Haltung‘ oder ‚Ansehen‘, wie es in den Wörterbüchern erklärt wird, ist Würde hier nicht zu finden und daran ist auch nichts zu beschönigen.“

„Ich stehe um fünf Uhr morgens auf, mache mir eine Tasse Kaffee, frühstücken zu dieser Uhrzeit kann ich nicht … Dann gehe ich ins Bad, ziehe mich an und verlasse die Wohnung.“

„6:40 Uhr – Ich betrete das Zimmer von Frau Beate M., geboren in den Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts. ‚Guten Morgen!‘ Ich höre einen Seufzer, einen Luftschnapper. Ich wecke sie behutsam. Sie blinzelt, erkennt mich und strahlt. […].“

„Sonntag, den 20. Januar 2013. Warum ich mich an den Tag erinnere? Ja, die Politik und deren Verhalten am Tag der Wahl – dazu äußere ich mich nicht. Im Kalender steht: ‚Jeder Kaufmann macht einmal im Jahr Inventur. Er stellt seine Guthaben und Warenbestände den Verpflichtungen gegenüber und zieht Bilanz.‘ Wenn das so ist, verdienen die Leiden der mir zur Pflege anvertrauten Menschen meine ganze Aufmerksamkeit. In den abendlichen Nachrichten des Tages nämlich, während des Machtgeschubses um Ämter, Gerechtigkeit und Verantwortung, ist womöglich das VIDEO über Gewalt in einem deutschen Altenheim durch eine Pflegerin nicht weiter beachtet worden. Gleichzeitig ist mir jedoch aufgefallen, dass eine gewisse Frau Nahles zur gleichen Stunde öffentlich betont – habe ich richtig verstanden? – wer ‚ihresgleichen‘ wählt, sorge dafür, dass Menschen hierzulande keine Angst haben müssen – alt zu werden.

Das ist Quatsch, Allerwerteste. Darauf haben Sie und scheinbar auch der liebe Gott keinen Einfluss. Das Leben ist ein Würfelspiel, jeder Tag, wie Zufall und Schicksal. Man muss einfach Angst haben. Vor der Natur und, was diese mit einem anstellt, nämlich die Summe eigenen Vorlebens ausmacht und unsere Gene bewirken mögen. Sicher ist gar nichts. Wer alt wird – und das ist in unserem wohlgeordneten Land, in dem Fußballer mit Millionen aufgewogen werden, sicherlich nicht unbedingt eine Gnade – die begründete Angst, dass sich nur dann etwas ändert, wenn die Zustände in den Pflegeheimen – das System – zu einem Gesetz führt, ins Grundgesetz; die gerechte Bezahlung von Pflegekräften – an die Adresse der Herren und Damen in den Gewerkschaften gerichtet – so wie auch die charakterliche Eignung bei Pflegern eingefordert werden muss, als ginge es um eine verantwortliche Position in der Industrie – was eben dort in den Ausschreibungen als unerlässlich vorausgesetzt wird.

Da es später, oft unverhofft jeden und jede treffen kann, ebenso diejenigen, deren Angehörige sie mitunter derart im Stich lassen – zeugt es unverhohlen von einer Geisteshaltung – ohne Pathos -, die einfach nur dumm, kurzsichtig, phantasielos ist. Ein Symptom der Krise.

Richtig – solange die Arbeit der Pflegekräfte so minder angesehen ist, so gleichgültig und nebensächlich, keinen Wert darstellt und nur eine lästige Pflicht – allen, die placeboartig sich nicht genug darüber auslassen können – sei gesagt: genaues wollen Sie doch gar nicht wissen. Es scheint alles noch weit weg. Dass die Würde am Ende eine Phrase – einfach – unwürdig ist. Milde ausgedrückt.

© 2013 Der Kulturflüchter N° 5 (auszugsweise)

Der hier veröffentlichte Text ist ein stark gekürzter Auszug aus „Die Siechendienerin. Ein schonungsloser Bericht“ von Enzo Fadar und Magdalena Kopp, in: Der Kulturflüchter N° 5. Das Un-Periodikum erscheint im Zeitlichkeitverlag, Herausgeber ist B. Claus DeFuyard. „Der Kulturflüchter“ präsentiert sich in Bälde auch mit einem Blog

ADLON. Ein Trostschreiben von Ubiquiste

© Der Kulturflüchter

© Der Kulturflüchter

Dem ZDF bescherte der Mehrteiler „Adlon. Eine Familiensaga“ vom Produzenten Oliver Berben und Regisseur Uli Edel eine sensationelle Gesamtquote. An den drei Abenden am 6., 7. und 9. Januar 2013 sahen jeweils rund 8,5 Millionen Zuschauer hin. Mich hat das Spektakel enttäuscht, um nicht zu sagen: verärgert.

Umso mehr freue ich mich, dass SteglitzMind mit freundlicher Genehmigung auszugsweise einen Beitrag aus dem Un-Periodikum „Der Kulturflüchter“ übernehmen darf, der sich kritisch mit dem Mehrteiler auseinandersetzt. Hinter dem Pseudonym Ubiquiste (nomen est omen) steht übrigens ein Kenner, was die Kenntnis von Geschichte und des Filmgeschäfts angeht.

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„Eine Gesellschaft, die sich der Erinnerung verweigert, wird die Fehler von gestern heute wiederholen.“ (Wilhelm von Sternberg)

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ADLON. Ein Trostschreiben von Ubiquiste

Das ist unter Verwandten und auch Freunden üblich und wirkt besonders, wenn dieses nicht im ersten Schmerz geschrieben wird, sondern – wie in diesem Fall – der erste und zweite Schmerz überwunden ist und die Heftigkeit der Anteilnahme, die selbst des Trostes bedarf, sich gelegt hat. Um was geht es? Um einen Film! Sag’ bloß?

Je mehr und inniger wir am Geschick des Jahrhundertwerks teilnehmen, desto lebendiger wird die Teilnahme als Trost wahrgenommen, wir – die Zuschauer, die eigentlichen Trostbedürftigen, sprechen unser ungeheucheltes Mitgefühl aus, in der Hoffnung auf eine wohltätige Wirkung auf die Verantwortlichen, die uns mit dem Dreiteiler überrascht haben, den Aussagen des Edelmannes zufolge sich mit der höchsten Zuschauerzahl – gegenüber den Tatorten – zufrieden geben konnten, wenn auch diese Aussage eher dafür steht, viel und mehr an Masse vermuten zu lassen. Und was sagt uns das?

Es tut – den Kulturflüchtern – unendlich leid zu sagen, dass diese  ADLON-Saga ein verschenktes Thema ist, weit hinter den Nibelungen, stellenweise operettenhaft, eine Visitenkarte indes für die Kostümbildner, die Maskenbildner, die Filmarchitekten und die Requisiteure, ausnahmslos professionell, mitunter jedoch wie telefoniert ablaufenden Dialogen, peinlich trotz der engagierten Talente. („Was den Film vor der Mittelmäßigkeit rettet, ist die prominente Besetzung“, Berliner Stadtmagazin). Kaiser Wilhelm aus der Muppetshow, den haben die Deutschen wirklich nicht verdient, der echte war schon Figura puppi genug.

Es mag darüber hinwegtrösten, dass keine der Episoden allzu entfernt vom Wahrscheinlichen liegen, es verwundert die Austauschbarkeit des Geschehens, ein wenig Buddenbrock, etwas vom Cabaret und Rosamunde Pilcher, umrühren und köcheln lassen, der Hunger treibt’s rein: die Bilder, die Szenen, die Dokumentation. Geschichtsträchtige Daten – aha! So war das! Es zerreißt einen, wenn mitten beim Quotensex – eine Pflichteinstellung! – der Reichstag lichterloh in Flammen aufgeht und uns vor der Erbärmlichkeit eines Coitus interruptus bewahrt. Allerdings, soviel deutsche Geschichte ist selten.

Ich werde daher nicht in die Elogen vorgefertigter PR-Texte einstimmen, dafür werden Sie mich vielleicht hassen, aber ich bemühe mich redlich zu erklären, warum der ADLON-Film nicht das Bildschirmereignis 2013 war, wie man uns das einreden möchte – das Jahr hat ja eben erst begonnen – und erkläre Ihnen gerne, warum ich anderer Meinung bin. Bitte!

Der Traum vom ADLON überlebte jeden Krieg, die Revolution, die physische Zerschlagung und die DDR – diese deutsche Geschichte – wenn dieser Art Stoffe weiter so behandelt werden – wird es nicht.

Es bleibt der Verdacht: der Geschichte, sprich Historie wird misstraut, sie wird nicht als ’gut genug’ befunden, um den Zuschauer mit der Wahrheit zu langweilen. Und bei so viel Aufwand wäre mit weitaus weniger Mitteln eine gut erzählte Geschichte die bessere Wahl gewesen. So folgt man lieber dem vermeintlichen Publikumsgeschmack, den man nicht müde wird, sich auf ihn zu berufen und gar behauptet, ihn zu kennen. Wir kleckern nicht. Wir klotzen. Und darin liegt das Geheimnis, warum immer wieder das Gleiche, das Selbe dabei herauskommt, die Titel wechseln, die Darsteller, Szenen ähneln sich, sind austauschbar.

Anno Dazumal – was geschehen ist und immer noch geschieht, seit eh und je zum Abenteuer entartet, alles, was der Gesellschaft zustößt führt zu unvorhergesehenen Konsequenzen, wie alles, was das Leben damals ausgemacht hat – ganz wie heute – es ist gerade mal 90 Jahre her: Geschichten von kleinen Leuten, zumeist aber ’großen’ Leuten, Unternehmern, die sich – so oder so! – als wirksame Elemente bemerkbar machten, Namen, die für eine Sache gestanden haben, gut oder schlecht, Erfinder und Gründer, Politiker, Bürger, Künstler – in einem entsetzlichen Drunter und Drüber.

Das hinter allem stehende Unheil zu beschreiben, angesichts der Montageflut, ist nicht unter die Haut gegangen und, außer denjenigen, die immer alles besser wissen, vermag auch ein Name wie der des Billy Wilder niemand so recht klar geworden sein, wer dieser Mann gewesen sein soll? Da wäre ein Ben Hecht, sein Freund und späterer Drehbuchautor, eher zu benennen gewesen, denn der hatte einen Bezug zum ADLON.

Bundesarchiv, Bild 102-13848F / CC-BY-SA,aus: Wikipedia

Bundesarchiv, Bild 102-13848F / CC-BY-SA,
aus: Wikipedia

„Im Jahr 1918 schickte ihn die „Chicago Daily News“ nach Berlin, um über das Deutsche Reich zu berichten. Der Amerikaner … war vielleicht der erste, der nach dem Krieg nach Berlin kam … An einem klaren Novembertag traf er in Berlin ein, drei Tage vor der Revolution. Er sprach kaum Deutsch … Hechts Hauptinformant der ersten Berliner Tage wurde ein Englisch sprechender Kellner des Hotel ADLON, in dem er auch Quartier bezog. Dieser Kellner informierte über die bevorstehenden Aktionen Liebknechts.“ (Helga Herborth, Karl Riha)

Dagegen sind die, die ein Wörtchen mitzureden hatten und am Ende mit dem Leben, ihrer Existenz bezahlten, vollends ausgeblendet: Jacob Wassermann, Siegfried Jacobson, Karl Kraus, Kurt Tucholsky, Frank Wedekind, Matthias Walden und Elsa Lasker-Schüler – Erich Maria Remarque, Franz Werfel, Walter Hasenclever, Gustav Meyrinck, Harry Graf Kessler – nur diese, die mochten die Deutschen aber nicht, sie waren wie ’Rufer in der Wüste’, die man am Ende aus dem Land jagte.

Thomas Mann, Albert Einstein und im Nachhinein noch die  Dietrich in den Kontext mit dem ADLON zu stellen ist, aufgrund deren unbedeutender Beziehungen zur Institution, historisch nicht einwandfrei.

Wir müssen uns sagen lassen, dass nahezu ausnahmslos, die zur damaligen Entwicklung Stellung bezogen, in die Flucht geschlagen wurden; bestraft für das, was sie zu sagen wagten; wie auch ein ganzes Volk bestraft – und innerhalb einer Dekade noch einmal – weil sie kritische Worte nicht ertragen konnten. Daran hat sich nicht viel geändert. Die aber, deren Werke auf den Scheiterhaufen landeten – hatten einfach nur Recht behalten.

Eine Katastrophe, die sich in ungezählten Schicksalen einer verschmähten Republik widerspiegelte, droht in mancher Hinsicht auch den Enkeln; während gegenwärtig die Ausweglosigkeit von Politik und einer verstiegenen Finanzwelt sich zu wiederholen scheinen, erinnern wir uns der unglückseligen Schlachten vor unserer Zeit und sehen zu, ob die Botschaft deutlich genug ausfällt, um endlich verstanden zu werden.

Aus welchem Grund man der Geschichte – sprich Historie –eine Fiktion überstülpt, bleibt schleierhaft. Autor und Regisseur, („Konfektionsarrangeur“ – Berliner Morgenpost) und Produzent laufen Gefahr einer unbedarften Generation Geschichtsunterricht zu erteilen – um nach weiteren Erzählungen dieser Art alles, was über Geschichte geschrieben, erlebt und überliefert wurde, dem Scheiterhaufen zu übergeben und wir uns dar ob eingestehen: was wir waren, sind wir offensichtlich nicht gewesen.

Unsere eher düstere Vergangenheit, die sozialen Probleme, ohne Humor, nur noch als eine Abfolge von Begierde und Lust darzustellen, kommt ohne das wirkliche Schicksal nicht aus, zum Leben verurteilt, von einer Aktion in die andere wankend – so scheint es, hat sich allmählich auch ein bestimmter Stil in der Darstellung von Charakteren herausgebildet, der, gleichgültig in welchem Kostüm oder auch Maske – es kommt wie eine Empfehlung: Als Mensch verhält man sich so.

Wir  benehmen uns falsch.

Man muss wohl da hineingewachsen sein, um das, was angesagt ist, auch durchhalten zu müssen und niemals den Drang zu empfinden, wegen all dieser kleinen Lügen, die noch als clever beschrieben werden, dagegenzuhalten. Gerade das aber würde jeden Künstler hervorheben und infolge der Umstände angepasster Kultur und eingebürgerter Erzählweise, das dringende Bedürfnis zu äußern, sich eine Auszeit zu gönnen, als sich im Rahmen der Quote zu verhalten. Wer so denkt, er oder sie, würde anders schreiben, sich anders bewegen, anders sprechen, sie würden andere Filme drehen.

„Diese Welt ist eine Welt zweier Götter. Es ist eine Welt des Aufbaus und des Zerfalls zugleich. In der Zeitlichkeit erfolgt diese Auseinandersetzung, und wir sind daran beteiligt.“ (Alfred Döblin, 1932 i. s. Stellungnahme zu den kritischen Äußerungen am Buch: »Berlin Alexanderplatz«)

„Die Wirtschaftskrise, die Anfang 1914 ihren Höchststand an Konkursen, Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit erreichte, war auch im Sommer nicht abgeklungen. Es kam eine neue Arbeitslosenwelle durch die massenhafte Schließung mittlerer und kleinerer Betriebe, deren Aufträge rückgängig gemacht oder nicht ausgeführt werden konnten, weil der Gütertransport lahm gelegt war.“ (Annemarie Lange »Das Wilhelminische Berlin«, Dietz Verlag, 5. Auflage 1988)

Das ist keine neue Sicht auf die alpgeträumte Wirklichkeit, noch geht es darum, die Vorlage als unsere einzige Welt zu begreifen; festzustellen, wo wir stehen uns noch im Licht wähnend, wo es doch eine Menge Dunkelheit gibt, in der viel mehr Menschen leben und sich allen Lastern des Daseins hingeben.

Natürlich dürfte im ADLON der Kohlrübenwinter 1916 keine so tragische Rolle gespielt haben. Nur, vor der Tür auf der Straße sah es anders aus. Die Stadt war verwahrlost, die Straßenreinigung funktionierte nicht, es fehlten die Kräfte. Handwerker gab es nicht, auch nicht für Geld, in den gepflegten Vierteln als auch in den einfachen Arbeiterbezirken bröckelte der Putz, der vorherrschende Eindruck war: Grau in Grau.

„Und auf öffentlichen Anlagen, den Wiesen, die vorher zu betreten „strengstens verboten“ waren, wurden Gemüse und Kartoffeln angepflanzt. Auf den Balkonen der Mietskasernen wuchsen die bis dahin unbekannten Tomaten, rankten sich Bohnen, gleich neben einem Gehäuse für Karnickel und ein paar bedauernswerten Hühnern. Die Menschen waren von Hunger und Entbehrungen gekennzeichnet, die jungen Leute – wie die Alten – schlichen gebückt, als trügen sie schwer am Gewissen, die Augen tief in den Höhlen. Noch nie zuvor zeigte sich derart ungeniert das ganze unfähige, morsche bürokratische System – als das beste der  Welt gepriesen. Und das ist nur eine oberflächliche Beschreibung des Elends – dem zwei fürchterliche Jahre folgen sollten.“ (a.a.O.)

Und das war selbst den Besuchern im ADLON kein Thema? Siehst Du, lieber Zuschauer, so war’s. Ach, war das so? Aus einer National-Idylle erwuchs am Ende ein Gespenst des Schreckens. Es zu verjagen blieb den Deutschen wenige Jahre. Es ist die besondere Tragödie, dass sie von den vielen, vielen Rezepten für ein Leben in Freiheit und Gerechtigkeit – das Falsche wählen.

© 2013 von Ubiquiste aus: Der Kulturflüchter N° 5

Das Un-Periodikum erscheint im Zeitlichkeitverlag, Herausgeber ist B. Claus DeFuyard. „Der Kulturflüchter“ präsentiert sich in Bälde auch mit einem Blog. – Der hier veröffentlichte Text ist ein Auszug aus „ADLON. Ein Trostschreiben“ von Ubiquiste, in: Der Kulturflüchter N° 5