Quasi zum Inventar der Buchbranche gehört die Frage nach dem Sexappeal des Buches. Inzwischen sind Stimmen, die einen Verlust der sexy Aura beklagen, allerdings so laut geworden, dass sich das Branchenmagazin Buchreport jüngst sogar zu einer Umfrage unter den Branchenangehörigen mit der pointierten Fragestellung „Ist das Buch nicht mehr sexy genug?“ veranlasst sah. Die Ergebnisse, auf die ich hier noch kurz zu sprechen komme, sind im aktuellen Buchreport Magazin und in Auszügen im Netz nachzulesen.
Ich vermute, dass die Fragestellung erstmals in jenen Tagen auftauchte, als den Verlagen dämmerte, dass Marketing und Werbung nicht allein die Handelspartner, sondern auch die Leser, sprich: die Käufer einbeziehen müsse. Mir begegnete sie zum ersten Mal auf der Vertreterkonferenz einer mittelständischen Verlagsgruppe in den späten 90er Jahren des vergangenen Jahrtausends. Und natürlich nicht, wie man meinen könnte, bei der Präsentation eines Titels mit erotischen Inhalten. Es wurde auch kein Buch vorgestellt, das dem persönlichen Sexappeal auf die Sprünge helfen sollte. Präsentiert wurde den anwesenden Vertretern vielmehr ein Ratgeber zu einem Trendthema, das mir seinerzeit alles andere als sexy erschien.
Hoppla, dachte ich bei mir, was soll diese Frage hier? Verblüfft betrachtete ich den Marketingleiter, der in Manier eines Nummerngirls mit dem Cover des Ratgebers in der Hand die Stuhlreihen der Vertreter abschritt: „Ist das sexy?“ Er meinte Covergestaltung und Titelei. Dass sich meine Stirn in Falten legte, lag weniger an der Attraktivität des Marketingleiters. Vielmehr war ich damals in der Branche noch relativ neu und entsprechend unerfahren im Buchmarketing. Außerdem hatte ich mich bis zu meinem Wechsel in die Buchbranche lange aus der Perspektive einer Literaturwissenschaftlerin im akademischen Betrieb mit dem Buch beschäftigt.
Im Wissenschaftsbetrieb stellte sich eine solche Frage einfach nicht. Und schon gar nicht bei meinem Forschungsgegenstand, der DDR-Literatur. Dort, wo diese Bücher einst entstanden sind, waren die Leser nicht auf eine Aura, sondern auf Inhalte scharf. Und zwar gierten sie insbesondere nach solchen Aussagen, die der Zensor übersehen hatte und die sich zwischen den Zeilen lesen ließen. Angesicht von Mangelwirtschaft und Papierknappheit war auch den Verlegern der Sexappeal eines Buches schnuppe. Und die Oppositionellen, die ihre Existenz und persönliche Freiheit für das Herstellen von Samisdat-Literatur oder anderen Schriften aufs Spiel setzten? Die hatten wahrlich andere Sorgen!
Jedenfalls begriff ich dann doch relativ rasch, dass die Frage nicht dem Inhalt oder dem Buch an sich gilt. Dass sie vielmehr darauf abzielt, ob das Marketing für ein Buch attraktiv genug ist, um Kaufbegierde zu wecken. Dass Sexappeal in der Buchbranche (und nicht nur dort) für Verkäuflichkeit steht. Nun gut, dachte ich mir, das ist nicht unehrenhaft und auch nicht anrüchig. Ein Bauchgrummeln blieb dennoch.
Mittlerweile allerdings ist aus meinem sporadischen Bauchzwicken ein dauerhaftes Bauchdrücken geworden. Ich höre das nämlich aus der Buchbranche inzwischen einfach zu oft: Ist das Buch (nicht mehr) sexy (genug)? In jüngster Zeit so häufig, dass ich mich inzwischen sogar frage, ob man mit dem allseits apostrophierten Sexappeal des Buches nicht auch den Eindruck erwecken will, dass sich die gegenwärtigen Probleme des Buchmarktes dadurch lösen ließen, wenn man das Buch zur Kur oder zum Visagisten und einer Flirt-Beraterin schickt? In meinen Ohren klingt das Lamento unterdessen so, als wolle man sich nicht den Realitäten stellen. Als habe man Angst davor, Tatbestände bei ihrem wirklichen Namen zu nennen, und keine Bereitschaft dazu, die Probleme infolge der Digitalisierung an ihrer Wurzel zu packen.
Mir scheint, dass die alt-bewährte Marketingfrage, ob ein Buch sexy ist, mittlerweile zu einer Phrase verkommen ist: Ein dankbares Klischee, das man gegen die digitale Umwälzung und deren Folgen in Stellung bringen kann. Fakt ist, dass das Buch nicht weniger attraktiv ist als früher. Fakt ist außerdem, dass es sich heute schlechter und schwerer verkauft, was freilich nicht daran liegt, dass der Sexappeal des Buches gelitten hätte.
Und wie sehen das die Branchenangehörigen selbst? Laut der besagten Buchreport-Umfrage zum Thema Sexappeal bezweifelt die Mehrheit, nämlich 64%, die Attraktivität des Mediums Buch nicht. Wenn überhaupt, wird eine vorrübergehende Formschwäche (sic!) attestiert. Ein gutes Viertel ist der Meinung, dass Bücher an Anziehungskraft einbüßen.
Differenzierte Antworten sowie kritische Anmerkungen zu der Umfrage, aber vor allem der Umstand, dass die Fragestellung („Ist das Buch nicht mehr sexy genug“) bei den Befragten keinen einhelligen Applaus fand, lassen mich aufatmen. Ist angekommen, dass Sexiness eine Anmutung ist, die auf subjektiven Wahrnehmungen und nicht auf objektiven Tatsachen beruht? Hat man sich nunmehr bewusst gemacht, dass Ansätze, die aufs alt-bewährte Buchmarketing setzen, keine zeitgemäßen Lösungen mehr bieten? Hat man sich womöglich auch darüber Gedanken gemacht, dass pointiert-einseitige Zuschreibungen den Wert des Buches in der öffentlichen Wahrnehmung sogar mindern könnten? Dass die Aura Buch, auf die man sich doch so gerne beruft, durch Attributionen wie Sexiness Schaden nehmen könnte? Dass Inhalte bei solchen Attributionen normalerweise keine Rolle spielen? Und dass es meist genau diese sind, weshalb Leser zum Buch greifen?
Fazit: Nicht „das Buch“ ist sexy – wie „das Lesen“ per se im Übrigen auch nicht. Es macht allenfalls sexy, weil die Lektüre glücklicher, klüger, begehrenswerter etc.pp. macht.
Und so sich die Branche weiterhin mit dem Sexappeal des Buches beschäftigen mag, dann sei ihr zumindest angeraten, von der eigenen Nabelschau abzusehen. Derzeit angebrachter und zielführender wäre wohl, potenzielle Käufer und Leser danach zu befragen, ob das Buch (noch) sexy ist.
Ich für meinen Teil nehme mir jetzt vor, die Kopernikus-Oberschule gegenüber zu besuchen, um die Schüler und Schülerinnen zu befragen, wie sie das einschätzen, dass ein Buch Sexappeal habe. Allerdings befürchte ich, dass sich nicht Wenige bei der Frage an die Stirne tippen. Gefasst sollte ich möglicherweise auch darauf sein, dass die Eine oder der Andere ein Smartphone mit den Worten zückt: „Das hier ist sexy!
.
Für den Bild-Tipp danke ich Petra van Cronenburg, deren Blog ich hier gerne empfehle.