Steglitz fragt bei Sonya Winterberg nach (Teil 2)

„Während man den Shitstorm in kaum einem anderen Land der Erde kennt, hat er in Deutschland eine Popularität erreicht, die mich fassungslos macht.“

In diesem Beitrag erfahren wir, was Sonya Winterberg für ihr Buchmarketing tut, welche Maßnahmen erfolgreich waren, welche floppten und wie sie sich als Autorin und Journalistin im Social Web einbringt. Im ersten Teil unseres Gespräches berichtete sie über ihre Erfahrungen mit Publikumsverlagen, wie sie die Entwicklung in Richtung Self Publishing einschätzt und was sie von den aktuellen Diskussionen über die Zukunft des Buches hält.

Was hältst du von der Entwicklung, dass Autoren immer mehr für ihr Buchmarketing selbst tun (müssen)?

Ich finde das wirklich bedauerlich. Eigentlich sollte jeder Verlag ja auch ein Interesse an der Vermarktung eines Buches haben und gemeinsam mit dem Autoren überlegen, wie er es am besten verkauft. Stattdessen muss man schon froh sein, wenn der Verlag Geld für eine Buchpremiere in die Hand nimmt und eine Pressemitteilung in Umlauf bringt. Ich kann verstehen, dass Etats für Werbung und Marketing immer geringer werden. Zugleich glaube ich, dass es für jedes Buch auch individuelle Wege gibt, ihm kostengünstig zu Aufmerksamkeit zu verhelfen. Doch das geht eben nicht mit dem Gießkannenprinzip, mit ein paar Plakaten hier und einer Anzeige dort. Ich würde zu gerne einmal ein halbes Jahr einem Verlag Ideen liefern, wie er sein Programm individuell und ohne erhebliche Mehrkosten besser platziert bekommt.

Trifft das auch auf dich als Autorin eines renommierten Publikumsverlages zu?

Leider mehr als die meisten vermuten. Es ist inzwischen gang und gäbe, dass der Verlag schon bei Vertragsabschluss deutlich macht, dass man sich dort über die Buchpremiere und den Versand von Rezensionsexemplaren hinaus nicht in der Lage sieht, das Buch zu vermarkten. „Da sind Sie dann auf sich gestellt“, sagte mir neulich die Programmleiterin eines etablierten Verlagshauses. Ich bin in solchen Situationen oft sprachlos. Beide Seiten, Autor und Verlag, haben doch ein Interesse an guten Verkaufszahlen.

Was unternimmst du für dein Buchmarketing selbst?

Momentan bin ich auf der Suche nach buch- bzw. projektunabhängiger Unterstützung, also jemandem, den man in den USA „Publicist“ nennen würde. Quasi ein Vermarkter, der Lesereisen organisiert und geeignete Wege beschreitet, die Themen zu denen ich arbeite, bekannt zu machen. Ich glaube, dass das auch viel mit dem Aufbau von längerfristigen Beziehungen zu tun hat – zu Redaktionen, Veranstaltern, Sendern usw. Alleine schaffe ich das kaum, da ich ja auch noch meine Arbeit mit Zeitzeugen, in den Archiven und Recherchereisen im In- und Ausland organisieren muss.

Und speziell für dein aktuelles Buch „Wir sind die Wolfskinder“?

Für das Wolfskinderbuch habe ich gemeinsam mit meiner Kollegin, der Fotografin Claudia Heinermann, eine Internetseite „Wir sind die Wolfskinder“ eingerichtet, die Material bereitstellt, die über das Buch hinausgehen.

Welche deiner Aktivitäten kamen besonders gut an, welche floppten?

Sonya Winterberg © Gina Gurgul

Grundsätzlich ist die Präsenz in den Medien das A und O. Interviews im Radio und Fernsehen sind ohne Frage hilfreich. Aber eben auch nicht um jeden Preis. Ich habe es zum Beispiel bereut, mit einer Zeitzeugin in einer Fernsehsendung gewesen zu sein, in der man, wie ich fand, ihrer Geschichte nicht wirklich gerecht wurde. Vielleicht auch gar nicht gerecht werden konnte. Traumatische Kriegserlebnisse zwischen zwei Promis in vierzehn Minuten erzählen und dann auch noch ein Happy Ending produzieren zu müssen, das mit seichtem Jazz auszuklingen hat, ist für mich befremdlich.

Unterstützt dich dein Verlag bei deinen Aktivitäten?

In der klassischen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auf Nachfrage ja. Aber weil die Wolfskinder zum Beispiel ein historisches Thema behandeln, wird automatisch auf ein älteres Publikum gezielt, das neue Medien vermeintlich nicht nutzt. Nicht einmal die Fernsehtermine wurden auf Twitter und Facebook bekannt gegeben. Ich käme mir da als Bittstellerin vor, wenn ich das jedes Mal einfordern würde. Wie gesagt, es liegt ja eigentlich auch im Interesse des Verlages, den Verkauf anzukurbeln. Beim Verkauf der Wolfskinder zum Beispiel ist der Verlag zufrieden, während ich denke, dass da noch einiges mehr möglich gewesen wäre.

Meinst du, dass Autoren heutzutage im Social Web präsent sein müssen?

Ich denke nicht, dass sie es müssen, aber es hilft, wenn man es schafft, seine eigene „Marke“ zu etablieren. Selbst bin ich da auch noch am Ausprobieren. Ich merke, dass ich Schwierigkeiten habe, meine beruflichen und privaten Kontakte strikt zu trennen. Denn nicht alles, was ich privat meinen Freunden auf Facebook mitteile, möchte ich auch öffentlich machen. Zum Beispiel, was meine Kinder angeht. Die haben ein Recht auf ein geschütztes Privatleben und wollen nicht das, was wir als Familie erleben, in die Öffentlichkeit getragen wissen, auch wenn es häufig mit meiner Arbeit zu tun hat.

Was hält dich persönlich davon ab, das Social Web stärker für dein Buchmarketing zu nutzen?

Im Wesentlichen ist es eine Zeitfrage. Beim Schreiben habe ich in der Vergangenheit die sozialen Netzwerke als virtuellen Pausenraum genutzt. Arbeit braucht, finde ich, Kollegen. Als Autorin habe ich die natürlich meistens nicht präsent und da ist es schön, bei einem Kaffee vor dem Bildschirm sich kurz mit Kollegen austauschen zu können. Neben der Arbeit, dem Recherchieren und Schreiben, das häufig mehr als vierzig Stunden die Woche ausmacht, eher sechzig, habe ich eine Familie und zwei Kinder. Der Tag hat 24 Stunden und ich kann bei weitem nicht alles machen, was ich gerne machen würde.

Warum bist du nicht auf Plattformen wie Facebook oder Google+ zu finden?

Privat bin ich auf Facebook. Google+ war mir eins zu viel. Ansonsten hatte ich mich bislang nicht für „wichtig“ genug gehalten, dass ich zum Beispiel ein Autorenprofil angelegt hätte. Erst als mir neulich der Verlag die Anfrage eines Wikipedia-Autoren weiterleitete, der einen Eintrag über mich schreiben wollte, dachte ich daran, dass es vielleicht wirklich an der Zeit ist. Ich fände es einfach peinlich, eine Seite zu haben, die dann vielleicht nur von zehn Leuten gut gefunden wird. Dann lieber keine, oder?

Beruflich findet man mich auf Xing und LinkedIn. Seit neuestem bin ich auch bei Klout angemeldet, einem elektronischen Dienst zur Messung der Online-Reputation.

Bei Twitter bist du allerdings bereits seit Dezember 2008 aktiv …

Anfangs war ich dort privat, sogar mit einem geschützten Account, angemeldet. Ich bin zu Beginn immer eher ein „Lurker“, eine Beobachterin und schaue mir zunächst einmal in Ruhe an, wie ein neues Medium, eine neue Plattform funktioniert und was sie bringt. Journalistisch schätze ich an Twitter die Unmittelbarkeit, Ereignisse schnell zu veröffentlichen. Gerade in Krisengebieten hat es sich als Medium der Wahl bewährt, um kurze, aktuelle Meldungen abzusetzen, die Agenturen häufig erst Stunden später auf dem Ticker haben. Ich lese also weit mehr als ich selbst twittere. Darüber hinaus schätze ich die ungefilterte Meinungs- und Kulturvielfalt, die Vielsprachigkeit, in der Twitter funktioniert.

Du hast kürzlich auch im Rahmen einer Rotation Curation für @wearedresden getwittert …

Ja, genau. Das Konzept eines offiziellen Accounts für eine Stadt oder ein Land, das in einem rotierenden Verfahren unterschiedliche Menschen zu Wort kommen lässt, ist für mich tatsächlich eine qualitative Weiterentwicklung sozialer Netzwerke mit dem ausdrücklichen Ziel, Vielfalt sichtbar zu machen. Ich kann mir vorstellen, dass sich diese Idee auch für den Buchmarkt oder ausgewählte Themen nutzen ließe.

Warum nutzt du für Twitter ein Pseudonym?

Anfangs war ich mit meinem vollen Namen angemeldet. Was dazu führte, dass bei Suchmaschinen nicht mehr unbedingt meine Arbeit im Ranking vorn lag, sondern Tweets, die eher widerspiegelten, was ich gerade las oder welche aktuellen Ereignisse mich beschäftigten. Das störte mich. Jetzt fahre ich ganz gut mit @experimentdays und dem dazugehörigen Profil.

Worauf achtest du bei deiner Kommunikation via Twitter besonders?

Twittern ist eine Kommunikationsform im öffentlichen Raum, das heißt, ich verhalte mich so, wie ich es sonst auch mache, wenn andere Menschen zuhören. Ich äußere also durchaus meine persönliche Meinung, werde aber nicht zu privat und reagiere nicht so impulsiv wie vielleicht im Freundeskreis.

Siehst du zukünftig vor, dich stärker noch im Social Web zu engagieren?

Ich denke, wir stehen da noch ganz am Anfang. Der Hype, bevor Facebook an die Börse ging, und der nachfolgende rapide Verfall der Aktie zeigt meines Erachtens, dass es wie einst mit der New Economy noch lange nicht sicher ist, was bleiben wird. Ich will auch künftig nicht zu viel Zeit auf die Form verwenden, sondern vor allem inhaltlich arbeiten. Von daher glaube ich nicht, dass ich mich unbedingt stärker einbringen werde, aber vielleicht gezielter.

Was sollte man als Autor/in im Social Web unterlassen?

Da hat sicher jeder seine eigenen Prioritäten. Ich finde ja schon, dass man gelegentlich hitzig diskutieren oder auch provozieren darf. Leider führt das in Deutschland häufig zu ätzender Besserwisserei. Während man den Shitstorm in kaum einem anderen Land der Erde kennt, hat er in Deutschland eine Popularität erreicht, die mich fassungslos macht.

Wo verortest du Risiken?

Für Autoren, die zeitgeschichtlich oder politisch arbeiten, ist auch immer die Frage, wie öffentlich sie ihre Werte und politischen Ansichten machen, wenn sie weiterhin international reisen und arbeiten wollen. Mir selbst ist es bei der Einreise in die USA wiederholt so gegangen, dass ich diesbezüglich eingehend befragt wurde. Bei der Einreise nach Israel musste ich Beamten schon Zugang zu Google Mail und Facebook geben.

Vielleicht hat es mit den Themen zu tun, die mich beschäftigen, oder aber den historischen Erfahrungen meiner Familie. Die Informations- und Meinungsfreiheit, die uns das Internet bietet und die wir in Europa genießen, gilt es zu bewahren. Sie ist keineswegs selbstverständlich.

Danke, Sonya, für das interessante Gespräch mit einem gewichtigen Schlusswort.

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Wer mehr über Sonya Winterberg erfahren möchte, findet die Autorin hier im Netz:

http://sonyawinterberg.wordpress.com/

https://twitter.com/experimentdays

http://wolfskinder.fotoportfolios.com/

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Vorschläge, wer in der losen Interview-Reihe “Steglitz fragt … bei Autoren nach” auch zu Wort kommen könnte, nehme ich gerne entgegen. Mich interessiert: Wie gehen Autoren mit den Entwicklungen infolge der Digitalisierung um? Welche neuen Wege nutzen sie, wo sehen sie Chancen und Risiken?

Demnächst steht hier Ruprecht Frieling aka Prinz Rupi Rede und Antwort.

Steglitz fragt bei Sonya Winterberg nach

„Der wahre Mehrwert des E-Books muss meines Erachtens erst noch erarbeitet werden.“

Bei Sonya war es genau andersherum: Nicht sie ist mir, sondern ich bin ihr im Social Web aufgefallen, und zwar bei Twitter. Wir haben telefoniert. Nach unserem längeren Gespräch sandte sie mir ihr aktuelles Buch „Wir sind die Wolfskinder“ zu, das auf sorgfältigen Recherchen über jene Kinder basiert, die nach 1945 monate-, häufig jahrelang elternlos durch die Wälder Ostpreußens irrten, um schließlich in Litauen ein karges Auskommen zu finden.

Für das Sachbuch, das im Mai 2012 bei Piper erschienen ist, hat Sonya Zeitzeugen und Überlebende befragt. – Mich machte die Lektüre fassungslos. Tief bestürzt bin ich auch darüber, dass vom Schicksal der sogenannten Wolfskinder kaum etwas bekannt ist und bis heute Unterstützung für die betagten Überlebenden weitestgehend ausbleibt.

Die Deutsch-Finnin Sonya Winterberg arbeitet in Helsinki, Dresden und Berlin als Autorin, Journalistin und Fotografin; ihre Schwerpunkte sind zeitgeschichtliche Themen und soziale Brennpunkte. „Wolfskinder“ ist ihr zweites Werk, ihre Bücher veröffentlichten Publikumsverlage. – U.a. wollte ich von ihr wissen, ob sie sich als „Verlagsautorin“ auch vorstellen kann, in Eigenregie zu publizieren, und welche Chancen und Risiken sie auf der einen wie auf der anderen Seite ausmacht.

Wie kam es zu deiner ersten Publikation?

Seit Anfang der 90-er Jahre arbeite ich als freie Journalistin, bedingt durch das Leben in verschiedenen Ländern zunächst vorwiegend auf Englisch und Schwedisch. Als ich 2005 aus privaten Gründen nach Deutschland kam, musste ich als Autorin hier erst Fuß fassen. Das war nicht nur eine sprachliche Umgewöhnung. In den USA zum Beispiel ist das Schreiben nicht so unterteilt in akademisch und journalistisch, es muss für alle gut lesbar sein. Im Schwedischen wiederum baut man Geschichten ganz anders auf als auf Deutsch. So war die erste Frage, die ich mir stellen musste, was und für welches Publikum will ich in Deutschland eigentlich schreiben.

Du hast in Deutschland quasi wieder von Vorne begonnen?

Aus dem Ausland kommend und ohne Veröffentlichungen auf Deutsch war ich mit Mitte dreißig plötzlich wieder Berufsanfängerin. Eine komische Situation, aber meine berufliche Erfahrung bis dahin war natürlich nicht umsonst und so gelang es mir, mich doch relativ schnell auch in Deutschland zurecht zu finden.

Leicht machst du es auch deinen Lesern nicht …

Bis heute bediene ich gerne Nischenthemen und schreibe gerne für Publikationen abseits des Mainstreams. Als Journalistin interessiert mich von jeher das, was eher „schwierige Themen“ sind: Krisen, Krieg und Trauma. Schwierig nicht nur, weil sie sich mit Grenzsituationen menschlicher Existenz, Leid, Zerstörung und Tod auseinandersetzen, sondern weil diese Themen immer schwieriger zu verkaufen sind.

Dein erstes Buch entstand gemeinsam mit deinem Mann Yury Winterberg …

Kriegskinder – Erinnerungen einer Generation“ entstand als Buch zum Film, einem Vierteiler in der ARD 2009. Recht kurzfristig war mein Mann Yury, selbst Schriftsteller und Drehbuchautor, angefragt worden, ob er es schreiben wolle. Zeitlich schien das unmöglich, zumal sich die Bandbreite der Zeitzeugnisse über ganz Europa erstreckte. Zugleich wusste er, dass das genau mein Themenfeld war, es mich schon lange beschäftigte. Wir handelten also eine Ko-Autorenschaft aus. Ich übernahm die nicht-deutschen Teile, Yury die deutschen.

Du bist von Rotbuch, wo euer gemeinsam verfasster Erstling „Kriegskinder“ 2009 erschienen ist, mit deinem zweiten Buch „Wolfskinder“ zu Piper gewechselt. Wie kam es dazu?

Die Wolfskinder sind quasi aus den Kriegskindern geboren. Einer der Zeitzeugen in den Kriegskindern war ein sogenanntes Wolfskind. Sein Schicksal berührte mich sehr und gemeinsam mit meinem Agenten beschlossen wir, das Thema anzubieten. Rotbuch glaubte zum einen nicht an die Vermarktbarkeit des Themas, zum anderen konzentriert sich der Verlag inzwischen auf weniger Titel im Sachbuch. Trotzdem bin ich dem Verlag nach wie vor sehr verbunden. Die Zusammenarbeit damals war prima.

Welche Vorteile machst du in der Zusammenarbeit mit Publikumsverlagen aus?

Sonya Winterberg © Evy Nickström

Es ist schwer genug, vom Schreiben leben zu können. Publikumsverlage garantieren Autoren je nach Erfolg und/oder Bekanntheit erst einmal ein Einkommen. Sie stellen außerdem ihre Infrastruktur zur Verfügung, das heißt neben dem Lektor die Expertise zum Beispiel die der Vertreterkonferenz, also derjenigen, die das Buch nach Erscheinen verkaufen müssen. Dort sitzt geballte Erfahrung, was sich gut verkauft, was gar nicht läuft, wie man eben auch zum Beispiel schwierige Themen platziert bekommt. Also Titelwahl, möglicher Weise Umschlaggestaltung und welche flankierenden Werbemaßnahmen sonst ergriffen werden sollten.

Der Verlag kalkuliert das Buch, verantwortet die kaufmännische Seite des Verlegens, also Honorare für Leistungen wie Lektorat, Korrektorat, Layout, Satz, Vorwort eines Prominenten, Illustrationen, Werbung, PR und Vertrieb. Die Lizenzabteilung versucht im besten Fall das Buch an in- und ausländische Lizenznehmer zu verkaufen, was möglicherweise weitere Einnahmen für Autor und Verlag bringt. Rotbuch zum Beispiel verkaufte eine Taschenbuchlizenz an Piper, aber auch eine spanische Übersetzung der „Kriegskinder“.

Ein Publikumsverlag kümmert sich auch um die Bereitstellung der elektronischen Daten für alle Abnehmer von Grossisten über Online-Buchhändlern wie Amazon bis hin zur Nationalbibliothek.

Im Idealfall ist der Lektor im Publikumsverlag ein beratendes Gegenüber, mit dem der Autor auch inhaltlich am Manuskript arbeiten kann. Doch heute geht es meiner Erfahrung nach hauptsächlich um Fragen der Produktion und des Vertriebs …

Was hast du besonders schätzen gelernt?

Durch die Zusammenarbeit mit Publikumsverlagen kann ich mich weitgehend auf das Schreiben konzentrieren und manche Verantwortung abgeben. Das kommt meiner Arbeitsweise sehr entgegen.

Traditionelle Verlage stehen neuerdings häufiger öffentlich im Kreuzfeuer der Kritik …

Ich denke, man tut den Verlagen unrecht, wenn man sie über einen Kamm schert. Publikumsverlage reagieren ganz unterschiedlich auf die neuen Herausforderungen, die beispielsweise neue Medien und verändertes Konsumverhalten mit sich bringen.

Welche Nachteile siehst du?

Ein Nachteil ist sicherlich die Schwerfälligkeit größerer Unternehmen. Ein schnelles Reagieren auf neue Ideen, Möglichkeiten und Entwicklungen ist beinahe ausgeschlossen. Es scheint auch einen Generationsgraben zwischen jungen Lektoren und älteren Programmleitern und Verlegern zu geben, in dem sich die Jüngeren einerseits wenig durchsetzen und andererseits tatsächlich sehr unter Druck sind, ihre Produktionszyklen zu betreuen. Da bleiben Stilsicherheit, inhaltliche Gespräche und das gemeinsame „Spinnen“, das Entdecken neuer Themen auf der Strecke.

In kleinen Verlagen geht es persönlicher zu, in größeren Verlagshäusern ist man auch als gewinnbringender Autor unter Umständen nur eine Nummer. Häufige Personalwechsel und Vetternwirtschaft kommen leider auch im Verlagswesen vor und können sich gelegentlich negativ auswirken.

Auf was sollte ein „Jung-Autor“ bei der Zusammenarbeit mit einem Publikumsverlag besonders Acht geben?

Ich weiß nicht, ob es allgemein gültige Regeln gibt. Aber die Dinge, die einem wichtig sind, müssen in jedem Fall vertraglich festgehalten werden. Im Sachbuch also beispielsweise die entsprechende Anzahl an Belegexemplare für Interviewpartner und Zeitzeugen, ggf. Kostenübernahme für Visa oder Reisen. Ich habe gute Erfahrungen mit meinem Agenten gemacht, sowohl was die Vermittlung als auch die Vertragsgestaltung angeht. Ob man als Jungautor allerdings den Luxus hat, wie Petra Cronenburg im Gespräch mit dir meinte, einen Verlag zu finden, bei dem erst einmal die Chemie und die Kommunikation auf Augenhöhe stimmt, scheint mir fraglich. Die Konkurrenz ist groß und ob es tatsächlich passt, findet man wohl erst heraus, wenn man in der gemeinsamen Arbeit steckt.

Jungautoren haben oft eine Abwehrhaltung, was die Erfahrungen von Publikumsverlagen angeht. Gelegentlich auf diese Erfahrungen zu hören, scheint mir nicht ganz verkehrt.

Hast du schon daran gedacht, in Eigenregie zu veröffentlichen?

Für einen Roman trage ich mich durchaus mit dem Gedanken in Eigenregie zu veröffentlichen, weil im Buchhandel ein Genre-Wechsel häufig als schwierig angesehen wird.

Auch Themen, die schwer verkäuflich sind oder die ich beispielsweise mit meiner Fotografenkollegin Claudia Heinermann unter dem Label „Heinermann & Winterberg“ mache, könnte ich mir dafür durchaus vorstellen. Mit dem Bild-Text-Band „Enduring Srebrenica – The Aftermath of War“ haben wir das im Übrigen auch schon gemacht. Der Band wurde zum Teil durch Stiftungsgelder finanziert und muss sich nun im Verkauf tragen.

Welche Vorteile siehst du?

Die Vorteile in der eigenen Verlegertätigkeit liegen klar auf der Hand. Jeder Autor hat so die Freiheit zu veröffentlichen, was er möchte. Es muss in kein Programm passen und pro verkauftes Exemplar verdient er mehr. Allerdings ist die Mehrarbeit nicht zu unterschätzen. Außerdem sind die Vertriebsmöglichkeiten für die meisten Autoren eingeschränkter als in der Zusammenarbeit mit Publikumsverlagen.

Machst du für eine Sachbuch-Autorin hier auch spezielle Risiken aus?

Im Sachbuch kann es auch schon mal vorkommen, dass man eine Klage an den Hals bekommt, weil jemandem eine Darstellung nicht gefällt oder er seine Persönlichkeitsrechte verletzt sieht. Dafür wiederum ist die Rückendeckung des Justiziars im Verlag besser als jede Rechtsschutzversicherung, die im Übrigen für berufliche Belange separat abgeschlossen werden muss und sehr teuer ist. Auch bei den Wolfskindern gab es ein Kapitel, das ich im Vorfeld gegenlesen ließ, um sicher zu gehen, dass die Darstellung juristisch wasserdicht war.

Wie schätzt du die Entwicklung in Richtung Self Publishing generell ein?

Self Publishing an sich ist ja nicht neu. Es gibt sie ja immer schon, die Eigenverlage, die Literatur im Untergrund. Die Frage wird doch vielmehr sein, ob sich gutes Handwerk und anspruchsvolle Literatur auf diesem Weg besser vertreiben lässt als auf herkömmliche Weise.

Was könnte sich durch die Entwicklung absehbar ändern?

In den USA lesen heute schon mehr Menschen Blogs als herkömmliche Newssites. Das heißt, Self Publishing und Schwarmintelligenz können unter Umständen künftig eine größere Rolle spielen als traditionelle Medien, in denen häufig nur noch Agenturmeldungen umformuliert werden.

Die Finanzierungsmodelle werden sich ändern, haben es im Prinzip ja durch Kickstarter oder Emphas.is ja schon getan. Hier ist Riesenpotenzial, aber es ist auch noch nicht vollständig etabliert. Ich beobachte diese Dinge mit großem Interesse und bin gespannt, was es für meine künftige Arbeit bedeutet. Momentan denke ich über Kooperationen mit Autorinnen in anderen Teilen der Erde nach. Die Tatsache, dass man nicht mehr gemeinsam an einem Ort sein muss, um gemeinsam zu publizieren, finde ich beispielsweise großartig. Ich denke, wir werden auch im Bereich des non-linearen Erzählens jede Menge neue Möglichkeiten in den nächsten Jahren entdecken.

Wo verortest du in diesem Kontext besondere Risiken?

Grundsätzlich sehe ich in diesem Kontext erst einmal mehr Chancen als Risiken. Die Risiken sind kaum anders als im herkömmlichen Verlagsgeschäft. Wenn ich mir allerdings anschaue, wofür man in Deutschland im Internet alles abgemahnt werden darf, frage ich mich schon, weshalb Leute überhaupt dieses Risiko eingehen.

Ich denke auch, dass noch eine ganze Menge unseriöse Unternehmen auftauchen werden, die ganz ähnlich der Discounter versuchen werden, immer mehr für weniger Geld zu veröffentlichen. – Rechnen können sollte man halt auch als Schöngeist …

Das größte „Risiko“ sehe ich momentan übrigens auch als die größte Chance. Wir wissen noch nicht, wohin die Reise geht. Es gibt also viele Möglichkeiten, sich auszuprobieren. Gerade für junge Autoren Erfahrungen zu machen, was funktioniert und was nicht. Dabei auch mal auf die Nase zu fallen ist wahrscheinlich das normale Lehrgeld, das man in allen Berufen bezahlt.

Hältst du es für wünschenswert, dass deine Bücher auch als E-Book vorliegen?

Ja, natürlich fände ich das toll. Ich denke einfach, dass alle Vertriebswege und Leseerfahrungen, im Übrigen auch als Hörbuch, den Leserkreis erweitern. Da ist es dann schade, wenn ein Publikumsverlag die Rechte hat, aber nicht selbst nutzt.

Bei den „Wolfskindern“ wurde ich sechs Wochen vor Abgabe gefragt, ob ich nicht etwas schneller fertig sein könne, es gäbe Interesse an einem E-Book. Das müsse aber vor dem eigentlichen Buch erscheinen. Eine frühere Fertigstellung des Manuskriptes war nicht möglich, aber ich hatte auch meine Zweifel, ob eine elektronische Vorveröffentlichung wirklich sinnvoll ist. Als das Buch dann erschienen war, wurde ich immer wieder gefragt, ob es auch als E-Book erscheint.

Das E-Book könnte vielleicht auch zu einer weiteren Zweitverwertungsschiene, ähnlich dem Taschenbuch, werden. Andererseits gibt ein E-Book einem nicht unbedingt ein taktiles Gefühl dafür, wie viel Arbeit in einem Buch steckt, wie dick es ist, wie es gebunden ist etc.

Existiert seitens der Verlage eine Erklärung dafür, warum „Wolfskinder“ und „Kriegskinder“ nicht als E-Book erhältlich sind?

Als die Kriegskinder erschienen, war es noch kein wirkliches Thema. Rotbuch hat daran kein Interesse mehr und Piper hat dafür nur die Taschenbuchrechte. Allerdings wurden die Kriegskinder ja auch ins Spanische übersetzt und sind inzwischen nun kurioser Weise auf Spanisch aber nicht auf Deutsch als E-Book erhältlich. Ich denke, dass wir es nach der Rückübertragung der Rechte womöglich selbst als E-Book vertreiben.

Meinst du, dass dem E-Book die Zukunft gehört?

Wenn man epubli-Geschäftsführer Jörg Dörnemann oder auch Steffen Meier und Gunter Dueck diesbezüglich hört, könnte man das meinen. Dazu gehört dann aber auch, dass eben die Vorteile des neuen Mediums wirklich ausgereizt werden. Randbemerkungen zum Beispiel, die kleinen Worte und Gedankenfetzen, die wir beim Lesen im Buch selbst notieren, haben so etwas wie ein Eigenleben. Inzwischen gibt es zum Beispiel Plattformen, die einen Sätze/Schnipsel/Satzfetzen sammeln, teilen und zur Diskussion stellen lassen (z.B. Findings.com). Pinterest quasi für Leseratten. Durch das Sammeln der Schnipsel entstehen neue Gedankenwelten, das ursprünglich lineare Lesen geht in ein non-lineares Zusammenführen bzw. „Schaffen“ über. Das kann ein Teil der Zukunft des E-Books sein.

Und die Zukunft des Gedruckten?

Ich glaube auch, dass es immer eine Daseinsberechtigung für das klassische Buch geben wird, dass der sinnliche Akt des Schreibens und des Lesens zusammengehören.

Wenn ich ein Buch kaufe, gehört es mir, ich eigne es mir an wie einen Pulli oder einen gemütlichen Sessel. Den Pulli trage ich, vielleicht wird er mein Lieblingspulli, meine Kinder lieben den Geruch, wenn sie ihre kleinen Köpfe darin vergraben. Der Sessel wird erst dadurch wirklich meiner, dass ich ihm seinen Platz in meinem Wohnraum gebe, dass ich in ihm sitze, vielleicht zu einer bestimmten Uhrzeit oder mit einem lieben Menschen. Und das Buch, auch das nehme ich erst vollständig in Besitz, wenn ich es lese und meine Gedanken am Rand notiere. Wenn ich Bücher aus der Schulzeit in die Hand nehme, schmunzle ich über das, was ich da heute an Randbemerkungen lese. Bücher, die schon lange in meiner Familie sind, tragen manchmal im Einband einen kleinen bunten Papieraufkleber auf dem „Deutsche Buchhandlung Buenos Aires“ steht oder „Boston: Fields, Osgood & Co“ – sie erzählen intime Geschichten aus einer anderen Zeit, hinterlassen sichtbare Spuren. Vom Papier, dem Einband und Lesebändchen oder der Druckqualität einmal ganz zu schweigen.

Es heißt ja, dass die Digitalisierung und der Umstand, dass Autoren nicht mehr auf traditionelle Verlage angewiesen sind, erhebliche Folgen für den Buchmarkt und -handel haben (werden). Wie schätzt du die Entwicklung ein?

Schon heute gibt es mehr literarische Zeitschriften online als es im Print je gegeben hat. Dadurch lassen sich Kosten für Druck und Vertrieb minimieren und ein weit größerer Leserkreis in kürzerer Zeit ansprechen als auf konventionellem Wege. Ich glaube auch, dass auf dem Buchmarkt gerade neue Autoren größere Chancen haben, sich auszuprobieren, ohne von den Barrieren verknöcherter Verlagsstrukturen behindert zu werden. Es ist wie mit vielen Dingen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verändert haben. Unsere Welt wird komplexer. Das heißt nicht unbedingt, dass Herkömmliches völlig verschwindet, aber dass es unter Umständen eine größere Vielfalt gibt, Möglichkeiten für immer mehr Menschen sich am gesellschaftlichen oder kulturellen Diskurs zu beteiligen, unabhängig von Bildung und „objektiv“ feststellbarem Talent. Das halte ich erst einmal für einen großen Gewinn.

Was stößt dir bei den aktuellen Diskussionen rund um die Zukunft des Buches besonders negativ auf?

Die Beschäftigung des Feuilletons mit sich selbst. Von den vermeintlich führenden Köpfen der großen Tages- und Wochenzeitungen habe ich zur Zukunft jedenfalls noch nichts Erleuchtendes gelesen. Stattdessen werden Kollegen in „Schlüsselromanen“ gemeuchelt…

Und branchenintern?

In der brancheninternen Diskussion höre ich kaum etwas dazu wie sich die Qualität der E-Books entwickeln könnte. Es geht mir momentan noch zu sehr um Äußerlichkeiten wie Software, Reader etc. statt darum, vielleicht auch die Sinnlichkeit oder die interaktiven Möglichkeiten, die ein E-Book ja durchaus bieten könnte, zu verbessern. Der wahre Mehrwert des E-Books muss meines Erachtens erst noch erarbeitet werden. Zugleich geht es häufig nur um Kosten – wer kann woran sparen, was darf etwas kosten, wie sieht es mit Werbung aus. Da folgt die Funktion der Form statt umgekehrt. Daraus ergibt sich dann auch die Kommodifizierung des Autors. Während wir momentan noch an eine Demokratisierung des Buchmarktes durch das E-Book glauben mögen, wird sich der Markt, wie in allen anderen Feldern auch, am Ende wieder durch Angebot und Nachfrage selbst regulieren. Wir werden Autoren haben, die mehr verkaufen als andere und deren Marktwert dann eben auch größer ist.

 Nachtrag: Infolge unserer Unterhaltung hielt Sonya mit dem Verlag Rücksprache. Piper bringt „Wir sind die Wolfskinder“ jetzt doch als E-Book heraus und zwar am 17. September 2012.

Der zweite Teil meines Gespräches mit Sonya Winterberg dreht sich darum, was sie für ihr Buchmarketing tut, welche Maßnahmen erfolgreich waren, welche floppten und wo sie im Social Web Chancen und Risiken ausmacht.

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Vorschläge, wer in der losen Interview-Reihe “Steglitz fragt … bei Autoren nach” auch zu Wort kommen könnte, nehme ich gerne entgegen. Mich interessiert: Wie gehen Autoren mit den Entwicklungen infolge der Digitalisierung um? Welche neuen Wege nutzen sie, wo sehen sie Chancen und Risiken?