Steglitz stellt @Anousch mit „Anousch“ vor

Buchaffine Blogbetreiber, die sich jeweils in Kurz-Interviews präsentieren, sprechen Blogempfehlungen aus, deren Betreiber wiederum eingeladen werden, sich den Fragen zu stellen. Das ist Ziel der losen Interview-Reihe „Steglitz stellt bibliophile Blogger vor“, deren Intentionen ich anderenorts detaillierter erläutert habe.

Mit @Anousch, die sich und ihr gleichnamiges Blog heute auf Wunsch von Ada Textkrieg vorstellt, holen die Frauen auf. Das heißt, dass das Missverhältnis innerhalb dieser Gesprächsreihe, das ich am 30. September noch konstatierte, nun ausgeglichen ist. Abzuwarten bleibt natürlich, ob es hier gendermäßig weiterhin ausgewogen zugeht, ob sich die Bloggerinnen gar an die Spitze setzen oder ob die Blogger wieder geballt nachlegen …

Dein Steckbrief in Stichworten …

1979 Geburt in Erfurt/seit 2001 in Berlin/Boxen, Segeln, Reisen/2008 Magister in Literaturwissenschaft (Adalbert Stifter)/danach Jahre in Therapie und Internet/schließlich Heilpraktiker-Ausbildung (Esoterik nein, Suggestion ja)/ Zen/2012 Mann, Kind, Roman.

Seit wann, warum und wo bloggst du?

Anousch © Anousch Otto

Seit 2007, ursprünglich auf Twoday, zuerst hier, später dort, bis ich mit Anousch endgültig bei WordPress gelandet bin. Die Zeit auf Twoday war sehr aufregend, inspirierend, mitunter beglückend. Das Bloggen hat mir über eine lange Zeit der Isolation und Depression hinweg geholfen. Bei Twoday befand ich mich in einer kleinen, warmherzigen, gebildeten und gewitzten Community. In den Kommentaren fand das eigentliche, oftmals nächtelange Spektakel aus Wortspielereien, Reflexionen, Melancholie und Klamauk statt. Ich habe viele Menschen ins Herz geschlossen, von denen mir einige fehlen, weil sie verschwunden sind. Twitter hat dann für mich alles verändert und das Bloggen entbehrlicher gemacht. Aber die Sehnsucht danach ist geblieben. Es ist ja wie eine Flaschenpost, die immer jemanden erreicht.

Deine Themenschwerpunkte …

Ich hatte immer etwas mit Land und Lyrik im Sinn. Ich liebe Brandenburg und das ziellose Herumcruisen. Aber bei Twoday ist schnell etwas anderes entstanden. Irgendwas mit Aeorophilie, Fährtenlesen, Biofiktion. Assoziationscluster und Bekenntnisse, Wort-Bild-Spiele, vieles, das sich erst mit dem Link auflöste bzw. mehr zur Verrätselung beitrug.

Inzwischen schreibe ich in größeren Abständen Rückblicke auf die vergangenen Monate. Ich habe mich zerstreut durch Twitter, Facebook, Instagram. Vielleicht es mal wieder Zeit, konzentriert Texte zu Bildern zu fügen und zu bloggen.

Was treibt dich in der Literaturszene, dem Literaturbetrieb derzeit besonders um?

Naja, mein eigener Roman, der hoffentlich momentan wie ein schönes Turnierpferd gehandelt wird. Ansonsten interessiert mich der Literaturbetrieb nicht sonderlich. Aber dieser Text „Das Nächste, bitte!“ von Stephan Porombka hat mich begeistert. Außerdem finde ich die Umtriebe von Christiane Frohmann spannend. Das einzige, das ich jemals als Szene leibhaftig wahrgenommen habe, sind die Lesereihen, die Jan-Uwe Fitz aka Vergraemer veranstaltet. – Soweit ich weiß, stand dir Herr Fitz  hier ja bereits Rede und Antwort.

Wie machst du dein Blog und deine Beiträge bekannt?

Ganz klassisch via Facebook und Twitter.

Was sollte ein Blogger besser sein lassen?

Nichts. Ich schätze die ganze Bandbreite menschlichen Irrsinns.

Welche Hürden muss ein Blogger nehmen?

Gelesen zu werden. Je mehr Blogs es gibt, umso schwieriger wird es, überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Ein gutes Mittel, Aufmerksamkeit zu erzielen ist es, auf den Punkt zu kommen. Redundanz ist ein schlimmes Übel. Ausschweifung eine Kunst. Der letzte, der das meiner Meinung nach beherrscht hat, war Thomas Mann. Und der war ja kein Blogger. Zum Glück, sonst hätte er uns jeden Morgen mit einem Verdauungspost genervt.

Ich möchte mir nicht den Finger wund scrollen, wenn ich einen Blogtext lese. Es sei denn, ich bin gefesselt, was in der Tat einige Blogger vermögen. Ansonsten kann man auch mit der kleinen Form immer wieder große Wirkung erzielen. Ganz wunderbar macht das Horst, Hund und Brodt. Außerdem liebe ich die Gedichte von Jost Renner.

Dein schönstes Erlebnis als Blogger …

Eine Nacht auf dem Zauberberg.

Wie gehst du damit um, wenn dir Verlage, Agenturen oder Autoren Rezensionsexemplare anbieten?

Soweit habe ich es noch nicht gebracht.

Und wie würdest du damit umgehen, wenn dir Self-Publisher ihre Titel zur Rezension anbieten?

Es kommt ganz darauf an, ob mich das Werk interessiert. Aber grundsätzlich sehe ich mich derzeit nicht als Rezensentin. Nur wenn mich etwas so begeistert oder empört, dass ich andere daran teilhaben lassen möchte, dann mache ich darauf aufmerksam.

Wie hältst du es mit dem eBook?

Hätte ich eines, hielte ich es sicher gut mit ihm. Ich vermisse es aber auch nicht. Mein iPhone ist mein eBook und das ist inzwischen wie ein zusätzliches Organ.

Welche anderen Blogs empfiehlst du (max. 5). Und welcher bibliophile Blogger sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Platz nehmen auf dem West-Fernöstlichen Divan. Einander verstehen, hey!: Amorphismen.

Ein Maniac, Autor einer schrägen Never-Ending-Story, der „Balzac des Internets“ (Jan-Uwe Fitz): Erdge Schoss.

Kirschkern, Kunst und alles kursiv: Schneck.

Bloggt aus der Auguststraße und aus ihrer Seele heraus: Gaga Nielsen.

Ich reiche das Wort weiter an den unvergleichlichen Kid37. Eine Eminenz im lateinischen Wortsinn.

Vielen Dank, Anousch, auch für deine großartigen Blog-Preziosen. Und: Glück auf mit deinem TWEETeBOOk „Bescheiden, aber auch ein bisschen göttlich„, das der Frohmann Verlag aufbereitet hat.

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Zuletzt stellte sich Jutta S. Piveckova aka Melusine Barby mit Gleisbauarbeiten vor. Ihr Wunsch-Interviewpartner war Hartmut Abendschein, der u.a. taberna kritika verantwortet und gemeinsam mit Christiane Zintzen litblogs.net herausgibt. – Eine Übersicht, wer bereits alles Rede und Antwort stand und welche Blogs in den jeweiligen Gesprächen empfohlen wurden, findet sich hier

Steglitz fragt bei Jan-Uwe Fitz aka @Vergraemer nach (Teil 2)

“Und weil sich mir der Sinn von Twitter so gar nicht erschloss, dachte ich mir: Das machste!“

In Teil 1 des Gespräches berichtete Jan-Uwe Fitz, wie er zu seiner ersten Veröffentlichung bei einem Publikumsverlag gekommen ist, welche Erfahrungen er in der Zusammenarbeit machte und warum er auch in Eigenregie publiziert. – Dieser Beitrag dreht sich um den Taubenvergrämer und um Twitter (wer hätte das gedacht?) und was Jan für seine Veröffentlichungen sonst noch macht …

Mit dem Taubenvergraemer ist dir ein schöner Wurf gelungen. Wie kam es dazu?

Hätte ich mir für dieses Interview einen ersten Satz wünschen dürfen, wäre es „Mit dem Taubenvergraemer ist dir ein schöner Wurf gelungen“ gewesen. Danke.

Gerne. Zur Sache, bitte …

Mitte der 2000er Jahre waren Berufsblogs en vogue. Zum Beispiel das Bestatterblog. Der Taubenvergrämer sollte eine Satire darauf sein: Ein Taubenvergrämer berichtet aus seinem Job. Nur eben kein echter, sondern ein eingebildeter Charakter. Ich habe mir damals vorgestellt, wie mein Leben als Taubenvergrämer verliefe? Und das aufgeschrieben.

Dass es ein Taubenvergrämer wurde und zum Beispiel kein Fliesenleger oder ein Chemiker, hängt mit der Schönheit des Wortes zusammen. Ich liebe das ä und das au. Beides zusammen in einem Beruf fand ich unwiderstehlich.

Der Erfolg kam schnell …

Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass der Taubenvergrämer tatsächlich gelesen wird. Ich wollte lediglich mit dem Medium Blog experimentieren und war wahnsinnig aufgeregt, als anfangs immerhin vier fremde Menschen regelmäßig reinlasen.

Bloggen war für mich ähnlich wie eine Modelleisenbahn zu besitzen: einfach machen, verwerfen, und dann losfahren lassen. Doch dann wurde das dia-blog.de auf den Taubenvergraemer aufmerksam und erwähnte ihn in einem Radiointerview. Nun ging es immerhin schleppend voran. So schleppend, dass acht Jahre später, nämlich im Mai 2013, das Buch „Aus dem Leben eines Taubenvergrämers“ bei Ullstein erscheint.

Seit wann genau bist du im Social Web aktiv?

Das Blog habe ich 2005 ins Leben gerufen. Auf Twitter meldete ich mich 2008 an. Gründe gab es keine. Nur Neugier. Es war die geschätzte @lorettalametta, die mir damals befahl zu twittern. Und weil sich mir der Sinn von Twitter so gar nicht erschloss, dachte ich mir: Das machste.

Kannst du dir deine Popularität im Netz erklären?

Nein. Sie ist auch ziemlich relativ.

Bei dir war ja das Marketing vor dem Buch da. Oder, wie siehst du das?

Vielleicht. Nur dass ich nicht gewusst habe, dass es Marketing war. Ich habe halt ins Internet geschrieben. Dass das mal viele Leute lesen und daraus ein Buch werden würde, war nicht geplant. Wahrscheinlich kann man in Zeiten des Internets gar nicht mehr nicht Marketing machen …

Hat das Dumont-Marketing beim Erscheinen von „Entschuldigen Sie meine Störung“ auf deine Bekanntheit im Netz gesetzt?

Nicht, dass ich wüsste. Es war einmal angedacht, auf Facebook dafür etwas Remmidemmi zu veranstalten. Aber aus Angst vor dem virtuellen Lärm habe ich das lieber abgeblasen. Im Internet hat man keinerlei Kontrolle darüber, wer dabei ist. Das ist bei einer Live-Lesung anders.

Wie fühlt sich das für dich an, ein Netzpromi zu sein?

Ich habe generell eine Heidenangst vor den Usern. Deshalb twittere ich deutlich langweiliger und verquaster als früher, als ich noch anonym war. Nach jedem Tweet rechne ich mit virtueller Kloppe.

Denkst du, dass sich Follower beim Abverkauf eines Buches rechnen?

Keine Ahnung. Aber Twitter als Vertriebskanal ist auf keinen Fall zu unterschätzen. Und ich glaube schon, dass einige meiner Follower das Buch gekauft und weiterempfohlen haben.

Was hältst du von der Entwicklung, dass Autoren immer mehr für ihr Buchmarketing selbst tun müssen?

Das ist ein wahnsinniger Stress. Autoren sind nervlich nicht die Robustesten. Marketing aber erfordert vor allem eiserne Nerven. Für sich selbst zu werben ist die Hölle, vor allem wenn man unter Selbstzweifeln leidet. Was nicht so selten ist. Ich mache zwar immer mal wieder Werbung für mich, aber mit einem sehr, sehr schlechten Gefühl. Weil ich nicht so erzogen worden bin, aller Welt zu sagen: Ich bin so geil! Außerdem fürchte ich mich vor Entfolgungen und Tweets in der Art „Der Vergraemer ist ein Kommerzschwein!“

Da musst du wohl durch …

So kennt man Jan-Uwe Fitz aka Vergraemer bei Twitter & Co – (c) Jan-Uwe Fitz

Tja, was soll ich machen? Für ein Taschenbuch werben die Verlage nicht sonderlich, da bleibt die Aufgabe eben bei mir hängen. Schließlich würde ich gerne so viele Werke verkaufen, dass ich ein zweites Buch veröffentlichen darf. Zum Glück habe ich meinen Twitter- und meinen Facebook-Kanal. Allerdings kann ich jeden Autoren verstehen, der sich lieber zurückzieht, weil ihn die Öffentlichkeit, auch die virtuelle, überfordert. Ich bin extrem dankbar, wenn nette Menschen wie der Autor Matthias Sachau öffentlich ein Wort für mich einlegen. Vielleicht sollten sich Autoren gegenseitig mehr bewerben. Dem steht natürlich auch der Neid entgegen. Ich zum Beispiel gönne niemandem anderen außer mir selbst gute Verkaufszahlen.

Was machst du für dein Buchmarketing außerhalb Social Web?

Lesungen, die ich meist selbst organisiere. Die helfen meinem Buch gewaltig, nicht nur in kommerzieller Hinsicht. Das Buch funktioniert allein nicht automatisch. Es kommt aus dem Kontext Vergraemer. Und dazu gehören eben auch der Twitteraccount, das Blog und der Live-Gig. Wenn ich es auf Lesungen ironisch erkläre, haben die Leser einen besseren Zugang. Wer nur das Buch liest, bleibt schon mal mit einem „Hä?“ zurück.

Welche deiner Aktivitäten außerhalb Social Web kamen besonders gut an, welche floppten?

Ich hatte einige richtig erfolgreiche Lesungen, mit über 100 Zuschauern. Aber auch Flops mit nur vier Zuschauern. Das hängt stark von der Werbung ab. Wenn ich kräftig trommele, wird es normalerweise voll. Da ich aber Phasen habe, in denen ich mich nicht traue zu trommeln, gibt es auch Lesungen, von denen die Timeline nichts mitbekommt und dann logischerweise lieber aufs Stefan Mross-Konzert geht.

Hä? Was ist denn das für ein Highlight?

Mein persönliches Highlight war jedenfalls mein Auftritt bei Astro TV. Ich war der erste Dumont-Autor auf diesem Kanal. Darauf bilde ich mir wahnsinnig viel ein …

Welche Plattformen bevorzugst du im Social Web für dein Buchmarketing?

Buchmarketing ist übertrieben, ein viel zu großes Wort. Ich weise auf Twitter, Facebook und meinem Blog darauf hin, dass man mich auch klassisch lesen kann. Und mich auf diese Weise sogar finanziell unterstützt.

Setzt du für dein Buchmarketing auf eine Social-Media-Strategie?

Nein. Wenn ich planvoll vorgehe, vermassele ich es. Es kommt doch anders, als ich denke. Alles bei mir läuft spontan und chaotisch ab. Vielleicht ist das aber auch eine Strategie, wer weiß. Ich kann Dinge, die mir wichtig sind und mir am Herzen liegen, nicht logisch angehen. Dann hätte ich das Gefühl, sie zu entmenschlichen.

Worauf achtest du bei deiner Kommunikation im Social Web besonders?

Mich nicht zu ernst zu nehmen. Es sei denn, man bittet mich darum.

Welche deiner Aktivitäten im Social Web kamen besonders gut an, welche floppten?

Mein Twitter-Account ist recht erfolgreich. Mein Blog nicht.

Hast du Erfahrungen mit Kostenlos-Aktionen gesammelt?

Ich habe kürzlich mein E-Book „Der Unerträgliche“ kostenlos bereitgestellt und gebeten, mir die paar Cent per paypal zu überweisen. Die Downloads waren dreistellig, bezahlt haben 4 oder 5 Leute.

Social Media ist sehr zeitaufwändig. Wie sieht dein Pensum aus?

Ich bin immer online. Das ist Teil meines Charakters. Das Leben ist ja schließlich auch zeitaufwändig.

Kannst du dich ruhigen Gewissens ausloggen oder treibt es dich dann doch wieder zum Rechner bzw. dem Smartphone?

Zugegeben, ich bin onlinesüchtig. Aber es stört mich nicht. Ich habe dem Internet viel zu verdanken. Und da ist es das Mindeste, dass ich es nie allein lasse.

Wie regelst du Fragen der Erfolgskontrolle? Nutzt  du Tools?

Keine. Würde ich Erfolgstools nutzen, würde ich bekloppt. Ich schaue höchstens ab und zu mal auf Favstar nach, wie meine Tweets so ankommen. Zählt das als Erfolgstool? Und ich schaue auf NovelRank, wie mein Buch sich auf Amazon verkauft. Zurzeit bereitet mir das Sorgen, dass es im September noch niemand bestellt hat. Muss mal wieder twittern, dass ich eins geschrieben habe und dass mein neuster Coup „Der Unerträgliche“ neuerdings auch gedruckt vorliegt…

Was sollte man als Autor im Social Web unterlassen? Wo verortest du Risiken?

Keine Ahnung.

Ein trefflicher Schlusssatz, Jan. Ahnungslos entlässt du mich jedenfalls aus diesem Gespräch nicht. Vielen Dank dafür! Und Glück auf am 5. September bei „140 Sekunden“.

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Wer mehr über Jan-Uwe Fitz erfahren möchte, findet den Autoren und seine Bücher hier im Netz:

http://benefitz.de

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Vorschläge, wer in der losen Interview-Reihe “Steglitz fragt … bei Autoren nach” auch zu Wort kommen könnte, nehme ich gerne entgegen. Mich interessiert: Wie gehen Autoren mit den Entwicklungen infolge der Digitalisierung um? Welche neuen Wege nutzen sie, wo sehen sie Chancen und Risiken?

Demnächst steht hier die Sachbuch-Autorin Sonya Winterberg Rede und Antwort.

Steglitz fragt bei Jan-Uwe Fitz aka @Vergraemer nach

„Begeisterung ist keine gute Verhandlungsposition!“

Wer bei Twitter ist, kennt den @Vergraemer und dessen miesepetrige Kunstfigur Taubenvergrämer. Seit September 2009 lädt das Alter Ego von Jan-Uwe Fitz zudem regelmäßig zur Lese-Show „Jour Fitz“ ein, wo wir uns im selben Jahr erstmals persönlich begegneten. Dass er es aus der Timeline heraus zu einem richtigen Buch bei einem großen Publikumsverlag geschafft hat, ist inzwischen auch außerhalb des Social Web bekannt. Als Jan mich im Frühjahr 2011 zur Premieren-Lesung aus seinem Wahnsinnsroman „Entschuldigen Sie meine Störung“ lud, wollte mir freilich noch nicht in den Sinn, dass er im Begriff war, gemeinsam mit einigen anderen Twitteratis ein neues Kapitel Literaturgeschichte aufzuschlagen.

Tatsächlich gilt Jan-Uwe Fitz inzwischen als Prototyp einer zeitgemäßen literarischen Gattung, nämlich der „Twitterature“. Sein Wahnsinnsroman „Entschuldigen Sie meine Störung“ erschien bei Dumont im April 2011. Das E-Book „Vergraemungen @vergraemers seltsamste Tweets“ legte er im September 2011 nach. Brandneu ist das E-Book „Der Unerträgliche“, das jetzt auch gedruckt vorliegt.

Wie kam es zu deiner ersten Publikation?

Die mir auch privat bekannte Autorin Paula Lambert stieß auf mein Blog und empfahl es meiner heutigen Agentin Michaela Röll von der Agentur Petra Eggers. Die war zum Glück der Meinung, dass man einen Verlag für mich finden würde und rief mich an. Gemeinsam haben wir dann aus dem Blog und meiner persönlichen Burn-out-Geschichte das Konzept für „Entschuldigen Sie meine Störung“ entwickelt.

Dein „Wahnsinnsroman“ ist bei Dumont erschienen. Welche Vorteile machst du in der Zusammenarbeit mit klassischen Verlagen aus?

Dumont hat meinen Roman auf Basis eines Konzepts gekauft. Das heißt, ich konnte mit einem Vorschuss im Rücken zu schreiben beginnen. Für den Verlag war das ein Risiko, schließlich war ich Neuautor und sie wussten nicht wirklich, was am Ende herauskommen würde. Zumal mein Humor nicht jedermanns Sache ist.

Ein anerkannter Verlag …

Ja, das Image: Bei einem Traditionsverlag wie DuMont zu veröffentlichen, schmeichelt dem Selbstwertgefühl. Wovon ich nicht allzu viel habe. Wenn ein Verleger wie Jo Lendle an dich glaubt, ist das großartig.

Welche Vorteile siehst du noch?

Außerdem das Lektorat und natürlich die PR. Dumont hat meinen Roman nicht nur als Spitzentitel im Handel positioniert, sondern auch für eine Lesung auf EinsLive gesorgt.

Wo machst du Nachteile aus?

Ehrlich gesagt: keine. – Das wundert mich jetzt gerade selbst ein bisschen …

Was sollte man als Neu-Autor in der Zusammenarbeit mit klassischen Verlagen besonders beachten?

Jan-Uwe Fitz aka @Vergraemer - Foto (c) Anke Fitz

Jan-Uwe Fitz aka @Vergraemer – Foto (c) Anke Fitz

Ich hatte und habe das große Glück, von einer tollen Agentin unterstützt zu werden. Ohne sie wäre ich heillos überfordert, zumal ich unfähig bin, meine Interessen zu vertreten. Ich rate jedem Autor, sich eine Agentur zu suchen. Die großen Verlage sind in der der Regel zwar fair, aber natürlich vor allem auf den eigenen Vorteil bedacht.

Die angemessene Höhe des Vorschusses sowie die vertraglichen Feinheiten kann man als Autor gar nicht kennen. Und allein die Aussicht bei einem großen Verlag zu landen, elektrisierte mich so sehr, dass mir alles egal war.

Begeisterung ist keine gute Verhandlungsposition!

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Du veröffentlichst auch in Eigenregie. Was hat dich dazu bewogen?

Experimentierfreude. Und weil es dank des Internets ziemlich einfach ist. Ich bin von Natur aus faul und schon der kleinste Widerstand stürzt mich ins Tal der Tränen. Wenn es nichts kostet und nicht zu viel Aufwand bedeutet, teste ich, was immer mir interessant erscheint. Immerhin ist das Verhältnis von „Glücksgriff“ zu „Hätte ich mir sparen können“ bei mir 4:1.

Welche Vorteile machst du beim Self-Publishing aus?

Ich arbeite ungerne mit Menschen zusammen. Sie blockieren mich. Deshalb sage ich meist „Ja und Amen“, um so schnell wie möglich von ihnen wegzukommen. Beim Self-Publishing habe ich alle Fäden in der Hand und die Wut über Fehlentscheidungen richtet sich ausschließlich gegen mich. Das ist zwar auch nicht toll, aber angenehmer, als andere Menschen zu verfluchen.

Wo siehst du besondere Risiken?

Natürlich ist die Vermarktung das Hauptproblem. Verlage verfügen über eine Werbepower, die man auch im Social Web allein nicht erreicht. Und Klinkenputzen bei wichtigen Medien und Multiplikatoren liegt nicht jedem.

Worauf sollten sich Autoren, die ihre Publikationen in die eigene Hand nehmen, besonders einstellen?

Man ist noch stärker auf sich allein gestellt als ohnehin. Das hat seine Vorteile, aber man fühlt sich mitunter auch bitter allein. Außerdem rauben Technik, Vertrieb etc. Zeit, die man auch kreativ nutzen könnte. Das Schreiben kommt plötzlich zu kurz. Dabei ist es genau das, was mir am meisten Spaß macht. Um das andere kümmere ich mich nur aus sozialer Feigheit.

Für dein aktuelles E-Book hast du dich für die Kindle-Edition entschieden. Warum?

Nicht ganz richtig. Ursprünglich war das so, stimmt. Aber bereits zwei Tage später habe ich „Der Unerträgliche – Brief an einen todgeweihten Mitreisenden“ auf kobo-books veröffentlicht, weil Kindle leider keine E-Books im Format epubs bereitstellt. Epubs sind aber die Basis fast aller Leseprogramme.

Die Kindle-Edition war für mich anfangs der Weg des geringsten Widerstands. Amazon macht es einem verhältnismäßig leicht. Bei der weiteren Verbreitung der Geschichte unterstützt mich zum Glück der Leipziger Verlag Ille & Riemer. Ich befasse mich ungern mit Technik. Wenn mir jemand etwas abnimmt, jubele ich wie irre. Allerdings warte ich, bis man mich anspricht. Ille & Riemer hat das zum Glück getan.

Worauf sollte man besonders achten, wenn man sich für die Kindle-Edition entscheidet?

Vor allem darauf, dass man nicht das Häkchen mit dem exklusiven Amazon-Vertrieb aktiviert. Es ergeben sich immer noch andere Möglichkeiten und dann sind einem vorerst die Hände gebunden. Das wäre schade.

Wie hältst du es mit dem Kopierschutz?

Ich verzichte darauf. Ich hoffe, dass die Leser einsehen, dass man Geschichtenerzähler unterstützen muss. Anderenfalls verhungern sie nämlich. Außerdem nimmt der Kopierschutz einem viele Möglichkeiten – zum Beispiel was Social Reading betrifft. Mein Dumont-Buch ist allerdings kopiergeschützt. Das ist eine Verlagsentscheidung gewesen, und die war für mich ok.

Was hältst du von den Diskussionen rund um das Pricing beim E-Book?

Ich muss ehrlich zugeben: Ich befasse mich kaum mit politischen oder ideologischen Fragen rund um das Buch. Ich verfolge das zwar, aber es lenkt mich zu sehr vom Herumspinnen ab.

Es heißt ja, dass die Digitalisierung und der Umstand, dass Autoren nicht mehr auf traditionelle Verlage angewiesen sind, erhebliche Folgen für den Buchmarkt und -handel haben (werden). Wie schätzt du die Entwicklung ein?

Das geht sicherlich zu Lasten der kleineren Buchhandlung. Aber Erlebniswelten rund um das Buch werden immer boomen. Ein Konzept könnte sein, mehr Eventlesungen zu veranstalten. Unterstützt von Social Media. Wie ich es mit meiner Lesereihe „Jour Fitz“ versuche. Buchhandlungen könnten zu Clubs werden. Oder mit Bars kooperieren. Ich habe da ein paar Ideen. Falls irgendjemand dieses Interview lesen sollte und Interesse an Leseshows hat: Nur zu! Er oder sie mögen sich gerne bei mir melden …

Was stößt dir bei den aktuellen Diskussionen rund um die Zukunft des Buches besonders negativ auf?

Dass vor allem aus der Perspektive der Literatur-Stars argumentiert wird.

Meinst du, dass dem E-Book die Zukunft gehört?

Ich glaube nicht an die Zukunft!

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In Teil 2 des Gespräches erfahren wir u.a., wie der Taubenvergrämer aus der Taufe gehoben wurde, ob sich Follower „rechnen“ und was Jan-Uwe Fitz für sein Buchmarketing tut.

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Vorschläge, wer in der losen Interview-Reihe “Steglitz fragt … bei Autoren nach” auch zu Wort kommen könnte, nehme ich gerne entgegen. Mich interessiert: Wie gehen Autoren mit den Entwicklungen infolge der Digitalisierung um? Welche neuen Wege nutzen sie, wo sehen sie Chancen und Risiken?