Wieso kratzt man an der Aura Buch nicht?

Zu meinem Gespräch mit Kathrin Passig auf der #rp12. Oder: „Irgendwie weiß und ahnt man das ja, aber …“

Da unterhalte ich mich mit Kathrin Passig auf der re:publika 12 über meine Erfahrungen in der Buchbranche und Kathrin macht sich die Mühe, unseren Plausch bei Kaffee und Kartoffelsalat zu transkribieren. Zu meiner Freude stieß der Text, der am 7. Mai im Netz veröffentlicht wurde, auf ein großes Echo. Dass das Gespräch allerdings solches Erstaunen, zum Teil sogar Betroffenheit auslösen sollte, damit habe ich nicht gerechnet. Nein, das hat mich doch sehr verblüfft! – Hier einige Stimmen:

„Wollte man das alles so genau wissen? – Ist ja deprimierend.“ Andreas Eschbach via google+

„Vieles ahnte man ja schon, aber kaum jemand traute sich bisher.“ PicaPGK via twitter

„Leider ist die Realität so wie man sie vermutet hat.“ Stefan Möller via Facebook

„Danke für das Interview, das doch einigen Leuten ihre Illusionen rauben dürfte.“ Fredrika Gers via google+

Nachdem sich die emotionalen Wogen wieder geglättet hatten, begann ich mich zu fragen, wieso überraschte das Gespräch eigentlich so? Schließlich habe ich über Sachverhalte geredet, die kein Geheimnis sind. Jeder weiß, dass Medien von Anzeigen leben, dass Bücher in der Sicht derer, die damit Geschäfte machen, Waren sind. Dass auch in der Buchbranche das Prinzip der Gewinnmaximierung gilt und dass es hier vielfach um Masse und nicht um Klasse geht. Warum sind so viele Leser nach der Lektüre konsterniert? Warum hat das Gespräch Illusionen zerstört?

„Irgendwie beunruhigt mich, dass es sich beim Buchmarkt genauso verhält, wie in anderen Branchen auch: Quantität statt Qualität und Schein ist alles, Sein ist nix.“ Kekewa via Deutsches Schriftsteller-Forum

„Irgendwie weiß und ahnt man das ja, aber wenn es so deutlich ausgesprochen wird, hinterlässt es ein großes Unbehagen.“ Claudia Kilian via google+

„Für die Leidgeprüften unter uns AutorInnen war’s nichts neues, aber neu, dass das mal jemand in solcher Klarheit und so geballt öffentlich ausspricht. Viele sprechen aus Angst eben nicht darüber.“ Petra van Cronenburg via Facebook

Ich sagte mir: So es tatsächlich Courage dazu brauchen sollte, Sachverhalte beim Namen zu nennen, dann ist die Buchbranche eine Art Heilige Kuh. Und nun überlege ich mir (und dieser Text ist ein erster Schritt dabei), warum wir ihr solchen Respekt zollen, solch‘ große Hochachtung entgegen bringen? Dass wir Unbehagen empfinden, wenn an ihrer Aura gerüttelt wird?

Eine Ursache, auf die ich in meiner Unterhaltung mit Kathrin auch zu sprechen kam, liegt m.E. in unserem Verhältnis zum Buch. Der Liebe zum Buch, die so gerne postuliert wird. – Fakt ist, dass sich das Buch (in unseren Köpfen und in der öffentlichen Wahrnehmung) von allen anderen Konsum- und Unterhaltungsgütern abhebt. Es schwebt quasi darüber. Wer das Buch z.B. mit Autoreifen vergleicht, vergreift sich zugleich an bildungsbürgerlichen Werten, die fest in den Hirnen und Herzen verankert sind. Das Buch ist ein hehres Kulturgut, das als solches bewahrt sein will. Basta. Entsprechend sind Menschen, die an und mit dem Buch arbeiten, Geistesschaffende, Kulturträger; Kulturschaffende sagte man in der ehemaligen DDR dazu.

Genau diese Vorstellung, die eine lange Tradition hat, macht es uns auch so schwer, das Buch als Ware zu denken, die wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Die Haltung erklärt auch, warum die Buchbranche große Anziehungskraft ausübt. Der Nimbus – man arbeitet für ein hohes Kulturgut – tröstet über schmales Salär und schlechte Arbeitsbedingungen hinweg. Abgesehen von den Spitzenverdienern gilt das für alle Protagonisten der Branche.

Von den Vorschusslorbeeren für das Buch, der Buch-Aura, zehrt die Buchbranche nicht nur – sie setzt sogar darauf! Wo immer Antworten gefragt sind – sei es bei der Buchpreisbindung, bei der aktuellen Debatte um das Urheberrecht etcpp. – taucht auch das Argument auf, dass das Buch etwas Besonderes sei, ein Wertstück, das unter besonderem Schutz stünde. Die Werbemittel der Verlage spielen damit und die Kampagnen des Börsenvereins für das Buch bauen darauf. Nimmt man sich die Interviews, Stellungnahmen oder Kommentare aus der Buchbranche unter dieser Perspektiv einmal vor, dann staunt man nicht schlecht: Wie oft hält das Buch mit seinem guten Namen für verbandspolitische Interessen her!

Zur Illustration mag hier ein Beispiel vom 9. Mai auf buchreport.de mit der Überschrift „Das Buch hat Sexyness verloren“ dienen, worin Lorenz Borsche vom Buchhändlerverbund eBuch zu den Herausforderungen der Zeit Stellung bezieht: „Dazu passt der Eindruck, dass das Buch in jüngster Zeit an Sexyness verloren hat. Dazu haben auch die Verlage ihren Teil beigetragen. […]. Jede Branche erzieht sich ihre Kunden. Eine große Zahl von Verlegern hat es geschafft, ein Buch, das viele Menschen lange als Wertstück begriffen haben, durch die 99er-Preisendung zu aldisieren. Der Marketingeffekt ist, dass der Kunde jetzt billig und Sonderangebot assoziiert. Das gerade bei potenziellen Buchkäufern vorhandene Gefühl, ich leiste mir etwas, ist durch diese Preisdämlichkeit beim Buch verloren gegangen. Es hatte schon seinen Grund, warum Bücher lange 8,80 oder 17,80 Euro gekostet haben.“

Auffällig finde ich, dass in solchen Kommentaren oder Stellungnahmen das Buch keinen Inhalt, kein Thema, keine Aussage hat. Auch Aufmachung und Anmutung spielen keine Rolle. Es ist ein Hohlkörper, ein Träger für Botschaften. Man braucht und bedient lediglich die Aura, die „das“ Buch (offensichtlich gottgegeben) hat. Dass sich die Geschäfte mit dem Buch schon lange von den Idealen losgelöst haben, blendet man aus. Und wer sich an der Aura vergreift, der ist …

Unsere Leidenschaft gilt den Büchern. Sie bewegen Menschen, sie helfen Menschen, sie bringen Menschen weiter. Bücher sind für uns zuerst Kulturgut, dann Konsumgut. Was auch immer geschieht, wie auch immer sich unsere Welt verändert, unsere Kunden, unsere Mitarbeiter, unsere Autoren sollen wissen: Wir glauben an Bücher.

 Das Zitat stammt von Jacob Anton Mayer (1782 – 1857). Es zierte im Mai 2012 das Schaufenster der Mayerschen Buchhandlung in Siegen. Zum zweiten Teil meines Nachdenkens über die Aura Buch geht es hier

25 Kommentare zu “Wieso kratzt man an der Aura Buch nicht?

  1. Pingback: Gesine von Prittwitz über A-, B- und C-Autoren und die Programmplanung bei Buchverlagen | Leander Wattig

  2. Pingback: “Bekenntnisse eines Literaturagenten” und ein paar Fragen dazu | Von Worten und Werken

  3. Whow, Danke für den Beitrag und die umfangreiche Diskussion. Da werde ich noch einiges zu lesen haben. Was mich aber hoffentlich nicht davon abhält, es weiter mit dem Schreiben zu versuchen.
    Gruß
    Fulano

  4. Pingback: „Statt Schrift-Steller ist man ‚Schreib-Maschine‘.“ Zwei Autorinnen berichten | SteglitzMind

  5. Danke für dieses Thema! Was wäre, wenn die B-Autoren streiken würden? Ohne Autor kein Buch! Dann hätten die (Groß-) Verlage dünne Vorschauen mit ihren maximal 3 -5 A-Autoren … und leere Regale auf den Buchmessen.

    • Gute Idee. Insgesamt weniger Bücher und dafür gute. Gut geschriebene, gut lektorierte, sinnvoll verpackte, liebevoll gestaltete. Am besten nur einen Erscheinungstermin pro Jahr. Dann hätten die Bücher auch mehr Zeit, sich zu entfalten und werden nicht schon wieder von den Neuerscheinungen der nächsten Messe überrollt.

  6. Hier eine B-Autorin aus der „Belletristik-Branche“, die gern anonym bleiben möchte. Denn im Verhältnis zum Verlag soll Friede und Freude herrschen. Vor allem nach außen hin. Aber auch nach innen macht man sich schnell unbeliebt, gilt schnell als unbequeme, fordernde Autorin. Die vielleicht schon von einem anderen Verlag ausgestoßen wurde, weil sie so unbequem ist resp. sich nicht gut genug verkauft hat.
    Als Autor merkt man selbst, welchen Stellenwert man innerhalb eines Verlagsprogramms zugewiesen bekommt. Man weiß schon, wenn man nicht Spitzentitel ist und kein Geld in die Werbung in einer Feuilletonzeitung gesteckt wird, dass das Ganze nichts werden kann. Man muss dann seine Zuversicht zusammenkratzen, sich moralisch aufrichten. An seine Fans denken. Ich habe alles in mein Buch gesteckt, ich habe das Beste gegeben, was mir zu diesem Zeitpunkt möglich war. Ich habe immer wieder gedacht, ich kann nicht mehr und dann immer weiter gemacht, Hürden überwunden, geheult, gejubelt, gefeilt. Jahrelang.
    Es muss ja am Ende nicht das große Geld rauskommen; eigentlich wollte ich ja Leserherzen erreichen. Ich möchte etwas geben. Das werde ich aber nicht so können, wie ich es möchte. Und das Geld, das ich verdiene, wird nicht reichen, um halbwegs in Ruhe ein neues Buch zu schreiben.
    Was war das für ein Glücksgefühl, endlich den passenden Verlag gefunden zu haben! Die ersten Dissonanzen bei Vertragsformulierungen. Das Gefühl, von einem Megakonzern etwas übergestülpt zu bekommen. Dann wurden der Arbeitstitel und alle Alternativen mit beiläufiger Geste vom Tisch gefegt und mir in einer Mischung aus Manipulation und Herausschieben ein für mich unangemessener und kitschiger Titel übergeholfen. Jeder Autor unter Ihnen kann sich die schlaflosen Nächte vorstellen, wenn sich auf diese Weise der Verdacht verfestigt, für ein paar lausige Euro seine Seele verkauft zu haben. Und jeder Leser und Kritiker denkt, der Autor hätte den Titel so gewählt.
    Wie es im Interview heißt, der Verlag hält Apfelessig gerade für den großen Renner, so wurde mein Buch auf das Thema Apfelessig zurecht gestutzt. Das Foto unter diesem Aspekt ausgewählt, das Cover, die Klappentexte. Nur dass ich keine Apfelessig-Autorin bin. Das ich viel mehr zu geben hätte. Leider war auch das Lektorat dementsprechend. Es kann sich niemand vorstellen, wie in einem Verlag mit einem scheinbar hochwertigen Programm unter Zeitdruck an einem Manuskript von jemand, der womöglich wenig Erfahrung hat, herum gepfuscht wird, sogar in den Stil eingegriffen (um dem Apfelesig-Leser entgegen zu kommen), wie wenig Achtung der Leistung eines Autors entgegen gebracht wird, der ja dem Verlag noch keinen Erfolg gebracht hat. Und dem er auf diese Weise keinen bringen wird. Denn Leser fühlen sich auch manipuliert und unwohl, wenn die Verpackung nicht zum Inhalt passt.
    Inzwischen denke ich, ich hätte besser ein E-Book selbst herausgeben oder hätte bei einem kleinen, armen aber gewogenen Verlag veröffentlicht. Dann würde ich mich nicht gegen Deformierungen behaupten müssen. Solche Vorgänge richten womöglich dauerhaft Schaden an, in der Art wie ich als Autorin wahrgenommen werde und an meinem künstlerischen Selbstbewusstsein.

      • Liebe B-Autorin,
        normalerweise schreibe ich keine anonymen Kommentare, aber nachdem ich Deinen Brief gelesen habe, MUSS ich einfach antworten, und weil ich einige Dinge benennen will, es mir aber überhaupt nicht darauf ankommt, in eine Diskussion „um mich selbst“ einzusteigen, möchte ich es – ausnahmsweise – anonym machen. Vorab: Ich schreibe schon viele, viele Jahre lang, und ich kann sagen, dass ich nicht nur den C-Autoren-Status kenne, sondern sozusagen von (fast-)A bis X alles durchhabe. Als ich anfing, professionell zu schreiben, also etwa vor dreißig Jahren, tat ich es aus dem Impuls heraus, Geschichten erzählen zu MÜSSEN, aber mit dem Anspruch, es auch richtig zu tun, also das Handwerk zu erlernen. Das war damals noch schwer, es gab kaum Möglichkeiten, ich wählte eine Fernausbildung. Danach schlossen sich vielerlei kleinere Projekte an, auch journalistisch war ich tätig, aber meine Passion blieb das Fiktionale. Ich bin von Kindesbeinen an begeisterter Leser, und was ich an „meinen“ Lese-Büchern schätzte, wollte ich dann auch „meinen“ Lesern geben: Die Reise in eine – wörtlich gemeinte – fantastische Welt. Ich LIEBTE Bücher, und ich wollte diese Liebe auch im Schreiben ausdrücken, ohne jedoch in das Fach der „Schnulzen“ oder auch der „hohen Literatur“ zu geraten. Unterhalten wollte ich, aber mit einem Anspruch an Sprache und erzählter Geschichte. Zehn Jahre sollte es dauern, bis ich einen Agenten und kurz darauf über ihn einen Verlag fand. Und dann geschah genau das, was Du, liebe B-Autorin, beschreibst. Am Vertrag hatte ich nichts zu mäkeln, der war richtig gut, aber was das Buch anging, lief es von Anfang an nicht rund. Kurz vor Erscheinen teilte man mir mit, dass man den Titel geändert habe. Ich war entsetzt, denn dieser neue Titel konterkarierte alles, was ich mit meinem Buch verband. Einen Tag lang ließ man mich glauben, ich hätte es in der Hand, einen anderen Titel zu finden, dann erfuhr ich, dass die Vorschauen längst gedruckt waren. Das Cover bekam ich ebenfalls erst zu sehen, als es nichts mehr zu diskutieren gab. Dann erschien das Buch – es war trotz allem ein Freudentag, den ich nie vergessen werde: Der erste Roman in einem großen Verlag, im Hardcover! Die Ernüchterung kam pronto. Dabei war mir durchaus bewusst, dass ich weder Spitzentitel noch sonst was war, will heißen: Ich hatte keine großen Erwartungen. Aber was dann geschah, war für mich unvorstellbar: Ich organisierte Lesungen und Pressetermine selbst (ich hatte durch meine „kleinen Projekte“ Kontakte und Erfahrung), und es gab ein sehr nachhaltiges (zunächst lokales) mediales Interesse an dem Buch. Immer mehr Lesungsanfragen kamen, aber man war im Verlag nicht mal bereit, mir Plakate zur Verfügung zu stellen. Weil ich die Veranstalter nicht enttäuschen wollte, habe ich schließlich selbst ein Plakat entworfen und im Copy-Shop drucken lassen (damals kostete ein Exemplar eines solchen Farbdrucks 5 DM!). Es kamen Beschwerden von Lesern, die mein Buch angeblich nicht kaufen konnten – ich schob es auf die Dummheit der Leute, bis mir eine Buchhändlerin bei einer Lesung sagte, dass mein Roman überhaupt nicht im Verzeichnis Lieferbarer Bücher eingetragen sei. Das habe man vergessen, sagte der Verlag. Drei Monate nach Erscheinen des Buches zeichnete sich ab, dass die erste Auflage bald abverkauft sein würde (ich fragte regelmäßig nach), aber eine zweite Auflage wollte man nicht drucken. So saß ich in Lesungen ohne Bücher. Mehr Presseanfragen kamen, mehr Leute wollten das Buch. Schließlich druckte man nach. Bei der nächsten Auflage das gleiche. Inzwischen war das Herbstprogramm draußen, mein Buch nicht mehr interessant. Für den Verlag. Für mich schon. Für die Leser offenbar auch. Ich könnte ein ganzes Buch schreiben, was ich alles unternommen habe, um den Verlag zu überzeugen, dass dieses Buch von Lesern gern gelesen würde, wenn sie es denn weiterhin druckten. Als es dann ins Taschenbuch kam, funktionierte es leidlich. Ich schrieb ein zweites und dachte wirklich, es würde besser. Es kam noch schlimmer. Es geschah genau das, was Du auch beschreibst. Leute, die keine Ahnung hatten von dem Buch (denn es war noch gar nicht fertig), entschieden darüber. Wieder die Diskussion um den Titel. Ich setzte mich durch, aber ich war nicht glücklich. Nicht etwa: Aus sachlichen Gründen müsse was geändert werden, nein, es seien einfach zu viele Seiten. Man strich Passagen, die andere Passagen plötzlich absurd werden ließen. Ich war noch mitten am Schreiben, in einer Phase, in der man mit den Figuren lebt, in denen man die Freude am Schreiben am intensivsten spürt, aber ich war müde, konnte die Diskussionen nicht mehr ertragen, die nicht um die Sache gingen (da hätte ich mich gern überzeugen lassen), sondern nur um diesen angeblichen Leser, der das Buch so und so und so haben wollte. Ich fing an, diesen angeblichen Leser zu hassen, ich wurde traurig und krank davon. Ich setzte mich schließlich durch, mit allem, aber wie viele schlaflose Nächte, wie viele Diskussionen kostete mich das, wie viele Tage, an denen ich nicht schreiben konnte! Der Roman erschien, die Auflagen beider Romane überschritten die Hundertausend, die Zweihunderttausend-Grenze, ich schrieb einen dritten. In der Hoffnung, dass man nun doch sehen müsse, dass die Geschichten, wie ich sie erzählte, vom Leser auch genau so geschätzt würden. Beim vierten war es dann soweit: Dieses Mal, so der Verlag, solle ich einen richtigen Spitzenplatz bekommen, man werde alles tun für dieses neue Buch. Das Schlimme: Die meinten das wirklich so. Vorher schon hatte ich auf Anraten meines Agenten einen neuen Vertrag unterschrieben, der finanziell nicht zu toppen war. Was soll ich sagen? Schon während des Schreibens versuchte man wieder, Einfluss zu nehmen. Der Titel passe dem und dem Verkaufsleiter bei dem und dem Filialisten nicht, er müsse geändert werden. Im Übrigen sollte ich mich bitte auf höchstens soundsoviele Seiten beschränken. Du bringst es auf den Punkt, liebe B-Autorin: Man hatte das Gefühl, man hätte seine Seele verkauft. Heute weiß ich: Es war nicht nur das Gefühl, es WAR so. Nichts von meinen Träumen war geblieben, nichts machte mir mehr Freude an dieser Art zu erzählen. Ich war auf dem Sprung zur A-Autorin, und ich warf die Flinte ins Korn. Fast fünf Jahre ist das her, und ich glaube, man hat im Verlag bis heute nicht begriffen, warum ich das tat. Ich mache auch niemandem einen Vorwurf, denn ich kenne natürlich auch die Zwänge, die in den Verlagen herrschen. Ich wollte weder Lektor noch sonstjemand in dieser Maschinerie der Beliebigkeiten sein. Ich hatte für drei Romane fast ein gutes Dutzend Lektoren, darunter einige outgesourcte, die ums Überleben kämpften und alles taten, was die Verlagsleitung wollte, Zuständigkeiten in den Sparten Presse und Veranstaltungen wechselten damals im Vierteljahresrhythmus. Das zumindest hat sich inzwischen geändert, aber die Misere, dass Leute, die Bücher NICHT lieben, die reine Marktstrategen und sonst gar nichts sind, zu wissen glaubten, was die Leute lesen wollen – und wie ich das zu schreiben hätte, was sie lesen wollten! – das konnte ich nicht mehr ertragen. Selbst wenn sie recht hätten. Und vielleicht sogar in dem einen oder anderen Fall recht haben. Ich wollte nur noch frei sein, wieder das schreiben, was ich gern schreiben möchte. Mit der Trennung vom Verlag trennte ich mich auch von meinem Agenten. Es war keine schöne Zeit, und das Paradoxe daran war, dass man mir es deshalb so schwer machte, weil der Erfolg nun da war. Als C-Autorin wäre man wohl froh gewesen, mich loszusein. Würde ich das wieder tun? Alles hinschmeißen und freiwillig in die X-Liga zurückgehen? ICH würde es tun. Aber ich kann anderen nicht dazu raten, denn für Autoren, die vom Schreiben irgendwie leben müssen, wäre es Harakiri. Mir geht es heute gut, ich schreibe wieder gern, aber bei den „Etablierten“ wurde ich persona non grata. Ich hatte ja durchaus einen guten Namen, aber wie sich Verkaufserfolge rumsprechen, sprechen sich auch Vertragsauflösungen herum. Ich dachte damals, ich müsse nur den Verlag wechseln, um mein „Schreibglück“ wiederzufinden, erlebte dann aber mehrfach, wie sich anfängliches Interesse sowohl von Verlagen als auch von Agenten plötzlich verflüchtigte. Ich sah es als Zufall, bis mir ein wohlgesonnener Mensch offenbarte, dass man sich sehr wohl in der Branche unterhalte. So ist das eben. Wahrscheinlich nicht nur in dieser Branche. Aber ich kann wirklich verstehen, warum immer mehr Autoren desillusioniert sind. Man arbeitet als Kreativer und bekommt Vorgaben wie eine billige Schreibkraft. Statt Schrift-Steller ist man „Schreib-Maschine“. Ich bekomme eMails von Leidensgenossen, denen ich leider auch nicht mehr raten kann, als zu versuchen für sich selbst einen Weg zu finden. Aber andererseits: Wenn man es schafft, dieses Verlangen nach „seriöser“ Anerkennung abzulegen UND noch an genügend Leser zu kommen, dann, finde ich, tun sich für kreative und „altmodische“ Autoren, die noch schreiben, weil sie Geschichten erzählen wollen, in der digitalen Welt womöglich neue Wege auf. Es dauert eben noch ein Weilchen. Also: Kopf hoch, liebe B-Autorin. Zeit ist ja das, was wir wieder haben möchten in dieser so schnell-lebigen Welt. Ich jedenfalls bin frohen Mutes.

  7. Ja, ich finde auch man sollte ein wenig an den Büchern kratzen – vor allem, wenn’s einen juckt; und es juckt, Leute. In meinem Fall war es ja so, dass der Verlag, der nach dem Mann benannt ist, der ein rohes Stück Oktopus verschlang und daran erstickte, dass dieser Verlag verlangte, ich solle bitteschön mit einem leckeren Titel und dem schon fertig designten Buchcover antanzen; was ich dann auch machte – es herrscht halt das They-say-jump-you-say-how-high-Prinzip. In der Kunst ist es übrigens genauso – und beim Fernsehen – Jesus Christus – was meint ihr, was da los ist. Die Leser müssen wahrscheinlich erstmal alle wieder ordentlich Kohldampf schieben, damit sie überhaupt irgendwas lesen, oder wie war das noch mal; oder sollen meinen Blog lesen, oder was:
    gonzosuicide (dot) com

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  10. Wieso wird das Buch so hochgehalten? Hat einen höheren Status als Autoreifen? Ich denke, die Gründe sind vielfältig.

    Wer ist nicht schon mit einem Buch in eine andere Welt entschwebt? Hat genossen, neue Gedanken kennen zu lernen, Abstand vom Alltag zu kriegen? Bücher sind kleine Oasen und als solche haben sie einen hohen Stellenwert.

    Bücher sind Kunst. Wie Bilder. Wie Musikstücke. Damit heben sie sich von einer Zahnbürste als blossem Gebrauchsgegenstand ab. Klar könnte man den Inhalt des Buches anders transportieren, auf dem Computer, auf Tablets. Trotzdem behält das Buch seinen Stellenwert neben diesen neuen Wegen der Übermittlung. EIn Teil dieses Wertes ist wohl der Nostalgie geschuldet. Man wuchs (heute noch) damit auf, man ist gewohnt, in Büchern zu Blättern. Man weiss noch, wie man als Kind unter der Bettdecke las, geniesst das ganze Drumrum des Buches mit.

    Bücher haben Substanz. Die hat ein Tablett auch, aber eine andere. Es ist kälter, ferner. Das Buch liegt warm in den Händen, ich kann reinschreiben, kann die Seiten riechen, die Druckerschwärze riechen. Ich kann von Hand blättern. Es ist unmittlbarer. Beim Tablett steckt viel Technik dahinter. Das ist immer noch fremd. Trotz aller praktischen Seiten wie Hintergrundbeleuchtung, die das Lesen unter der Bettdecke vereinfacht (selber schon probiert).

    Wieso muss man die beiden gegenüberstellen? SIe können ja nebeneinander bestehen bleiben. Das Auftauchen der Fotokameras war auch nicht das Ende der gemalten Kunst, Fernsehen hat das Theater nicht ausgehebelt. Klar, es fanden Verschiebungen statt. Der Markt musste geteilt werden.

    Noch nie mochten alle Menschen Bücher. Es gibt sehr viele Menschen, denen Bücher egal bis eine Plage sind. Das war immer so und wird wohl immer so bleiben. Früher war man auf Bücher angewiesen, um ein wenig BIldung zu kriegen, heute geht das auf anderen Wegen. Das ist eher ein Gewinn, da Bildung trotz allem wichtiger ist, als gerne zu lesen. Sage ich als Buch- und Literaturliebhaber. Schon da hat der Wert des Buches abgenommen, man musste keine Bücher mehr haben, um als gebildet zu gelten. Trotzdem vermittelt ein volles Bücherregal im Wohnzimmer diesen Eindruck noch heute. Das sind Bilder in Köpfen, Assoziationen. Die sterben nicht so schnell aus. Und das ist vielleicht auch gut so. Denn sie haben auch ein Stück Wiedererkennungswert und Stabilität in sich.

    Es bringt in meinen Augen nichts, in einen Trauergesang um das Büchersterben auszubrechen. Sterben werden sie nicht. Sich neu einordnen in einem immer grösser werdenden Dschungel an Möglichkeiten. Quasi eine Art Evolution im kulturellen Bereich.

  11. Erst gestern habe ich mit einer Unternehmerin aus der Textilwirtschaft, gesprochen. Tun wir so, als würde sie Handtücher herstellen. Sie schildert dieselben Vorgänge wie im Buchmarkt, Designrunden, große Vertreterkonferenzen, Bemusterungen, Pokerface bei den Großeinkäufern – Herzflattern, wie viele Handtücher in welches Kaufhaus kommen werden…
    in nichts unterscheidet sich das vom Buchmarkt.
    Nur: Handtücher werden höchstens in der Fachpresse „rezensiert“, niemals für ein breiteres Publikum.
    Handtücher sind vielleicht auch nicht so emotional aufgeladen – oder sie werden es, indem sie von Prada sind…

    Und vielleicht kratzt niemand am Mythos Buch, weil es immer wieder doch kleine Wunder gibt? Dass Bücher ohne Marketingbudget doch noch rezensiert werden und den Weg zu ihren Käufern finden?
    Weil Bücher emotionale Inhalte haben? Für Werte stehen?
    Werte, mit denen Trinkbrause über Werbung und allerhand Hexentanz erst mühsam aufgeladen werden muss?
    Unterschieden sich die Mythen also tatsächlich so sehr?

  12. Interessanter Anstoß! Ob Bücher „sexy“ sind, ist ja unerheblich (was heutzutage so alles „sexy“ sein soll …). Auch der unrunde Preis spricht meines Erachtens weder für noch gegen ein Buch als „Wert“. Wichtig sind den Lesern die Inhalte, weswegen sie sich für oder gegen den Kauf eines Buchs (oder E-Books, je nach Geschmackslage) entscheiden. Begeisterte Leser verbinden mit Büchern sicher – außer angenehmen Leseerlebnissen oder Erinnerungen – auch einen Wert, der mit der „Aura“ zu tun hat. Deswegen kauft man sich Bücher, statt sie sich auszuleihen, bestückt die eigene Bibliothek damit und freut sich über den Anblick. Zumindest geht es mir so. Dass Marketingmenschen auf unsere Bedürfnisse und Wünsche setzen bei ihren Strategien, ist in allen Branchen so. Geschäfte und Ideale passen wahrscheinlich in den seltensten Fällen wirklich zusammen, aber das Geschäft macht sich Ideale gern zunutze. Sich dies immer wieder bewusst zu machen, kann jedenfalls nicht schaden.

  13. Ich wäre ja eher für Re-Auratisierung des Buches zu haben. Die Entauratisierung ist ja längst ein „given thing“, zumindest das auralose Buch längst die Vorherrschaft in Produktion, Vertieb, Absatz, Resonant, etc., nur unser Verherungsbedürfnis hat noch nicht vertanden, dass da nicht mehr so rasend viel zu verehren ist.
    Das auralose Buch – sprich: ramschig geschrieben, gedruckt, vertickt, gelesen und ausgemustert – ist die Realität. Re-Auratisierung würde heißen, ein Buch wäre wieder das, womit es sich einst seine Aura erworben hat: Ein Werk des Durch- und Zuendegedachten, Summe eines langen Arbeitsprozesses, auch als Sachbuch mit einer Sorgfältigkeit verfasst, die in enger Nachbarschaft zum künstlerischen Ethos lebt, gezielt auf Dauer, um etwas festzuhalten für länger, eine Erkenntnis weiterzugeben etc. – maximale geistige Anstrengung.
    Das ist ja kein Zufall, dass wir uns noch daran erinnern können, dass Bücher einmal etwas anderes waren, als sie heute sind. Frühere Generationen haben nicht jeden Müll schnellstens heruntergerotzt – Schreiben zum Vergessenwerden. Die Warenwirtschaft der Verlage zu entauratisieren kannst du also gerne machen und du hast dafür meinen vollen ideologiekritischen Segen. Vielleicht wird dann wieder der Blick frei für die „wirklichen“ Bücher. Kann gut sein, dass in Zukunft der Ramsch elektronisch verdampft, während einzig das Durchdachte noch gedruckt wird, so in 20, 30 Jahren oder so.

  14. Das Interview gefällt mir. Aber es überrascht mich nicht, was Marketing, Werbung und Rezensionen angeht. Das hat sich – wie beschrieben – etwas verschärft, ist aber überhaupt nicht neu. Ich habe selbst erlebt, wie mein Verlag bereits vor einem Vierteljahrhundert fünfstellig löhnen musste, um 3 briefemarkenfroße Erwähnungen im Berliner KIEPERT-Weihnachtskatalog zu bekommen. Oder die begehrten Anzeigen auf der Titelseite vom BUCHREPORT. Da war doch gleich eine wohlwollende Rezension im Inneren des Branchenbattes inklusive. Und dazu ein nicht zu auffallendes, aber schön warmes Plätzchen irgendwo in der Mitte der Bestsellerliste. Non olet, oder?

  15. Also für mich ist es eigentlich nicht nur die Aura, es ist ein ganz praktischer Punkt, der noch stark für das gedruckte Buch spricht: Die Technologie-Branche hat bisher keine brauchbaren, alltagstauglichen Möglichkeiten hervorgebracht, Dokumente über längere Zeiträume (100 Jahre und mehr) sicher zu speichern. Schon allein die permanente Veränderung von Speichermedien und Dateiformaten innerhalb der letzten 20 Jahre zeigen, dass die Technologie den Bedürfnissen zukünftiger Lesender, die möglicherweise ein historisches Interesse an der Literatur unserer heutigen Zeit haben, massiv hinterherhinkt. Hier ist das gedruckte Buch gegenüber den Festplatten in der Cloud noch klar im Vorteil.

  16. „Wieso kratzt man an der Aura Buch nicht?“

    Vielleicht, weil man sich eine der letzten großen Illusionen nicht
    nehmen lassen will.
    Etwas heile Welt in unübersichtlichen, unsicheren bis desaströsen Zeiten,
    so zumindest die Botschaft, der Wunsch.
    Die Kundschaft wird bedient, mit nostalgischen Gesängen von „Bücherliebe“…etc.
    Schaut man sich dann die Verlags-Apparate und Bücher-Konzerne an,
    ist die Frage berechtigt:
    Was wollen die eigentlich?

  17. Die Aura des Buches ist beachtlich – meine These wäre übrigens, daß dies hierzulande u.a. mit der Aufarbeitung bzw. Bewertung der Bücherverbrennung unter den Nazis zu tun hat.
    Mich stört an dem Auratischen des Buches schon lange, daß genau diese dazu führt, daß viele Leute, die in der Branche arbeiten, zu wenig dafür bekommen. Aus irgendwelchen Gründen stehen der materielle Wert eines Buches und die Arbeit daran in keinem guten verhältnis zum immateriellen Wert. Statt eines angemessenen Gehaltes bekommt man viel gutes Gefühl, für die gute Sache zu arbeiten.
    Ich hätte nichts gegen eine Entauratisisierung des Buches bei gleichzeitiger Neubewertung und Bepreisung der tatsächlichen Arbeit und Handwerkskunst am Buch.

    • 1) Womöglich ist ja mit diesem ersten Nachdenken hier ein erster Schritt auf dem Weg zur „Entauratisierung“ (#schonesWort, btw.) des Buches getan? – Ich meine jedenfalls, dass das Thema auf die Agenda ghört und freue mich über Beiträge zur Diskussion.
      2) Deine These, dass die Bücherverbrennung 1933 eine Rolle spielen könnte, greift m.E. historisch zu kurz. Die Hochachtung gegenüber dem Buch ist kein deutsches Phänomen. Und: Bücher wurden schon immer und überall öffentlich verbrannt.

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