Fünf vor Zwölf. Gerrit van der Meer schlägt Alarm

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA wird tiefer in die europäische Kulturlandschaft eingreifen als jedes Abkommen zuvor. Sämtliche Fördermaßnahmen der EU-Mitgliedsstaaten und der EU zugunsten der europäischen audiovisuellen Medien und anderer Kulturträger werden infrage gestellt. Laut WTO haben diese Fördermaßnahmen protektionistische Wirkungen, da sie nichteuropäische Werke auf dem europäischen Markt schlechter stellen als europäische Werke.

Es entsteht ein Konflikt mit den Regelungen des Welthandelsrechts, das ein generelles Diskriminierungsverbot vorsieht.

Die bestehenden umfassenden Ausnahmeregelungen führen bisher im Ergebnis noch zu einer Vereinbarkeit der Fördermaßnahmen mit dem Recht der WTO.

Aufgrund der fortschreitenden  Liberalisierung ist davon auszugehen, dass das Diskriminierungsverbot auch für alle Ausnahmeregelungen (Buchpreisbindung, Filmförderung, Theatersubventionen etc.) Anwendung finden wird.

Durch das Sommerloch und die Überlagerung durch den NSA Skandal ist das Thema Freihandelsabkommen leider sehr in dem Hintergrund gedrängt worden. Eine öffentliche Wahrnehmung der Verhandlungen findet in der breiten Öffentlichkeit kaum statt.

Im Rahmen einer SPD Veranstaltung hatte ich gestern die Gelegenheit mich mit einigen Kommunalpolitikern und Kandidaten für die Landtags- und Bundestagswahl zu unterhalten.

Das Freihandelsabkommen war dort kaum im Bewusstsein vorhanden. Viele hatten zwar davon gehört, waren aber über die Inhalte und die möglichen Folgen nicht informiert.

blue moon sailing © Gerrit van der Meer

blue moon sailing © Gerrit van der Meer

Erschreckend, wenn man bedenkt, welche Auswirkungen es auf das direkte Lebensumfeld der Menschen haben wird. Programmkinos, Buchhandlungen, Theater und andere Kultureinrichtungen würden weitestgehend verschwinden. Kleine unabhängige Verlage müssten um ihre Existenzgrundlage fürchten. Die Innenstädte und die Ortskerne der Gemeinden würden noch weiter veröden. Die kulturelle Identität Europas, die sich über ihre vielen, auch kleinen Blüten definiert, wäre ernsthaft in Gefahr.

Die Oscar Preisträger Pedro Aldomovar und Michael Hanneke haben bereits lautstark gegen die zu befürchtenden Auswirkungen der Freihandelsabkommens auf die europäische Filmlandschaft protestiert.  Bis heute unterstützt jedoch nur Frankreich dieses Anliegen.

Frankreich drängt darauf, dass die Kultur aus den Verhandlungen ausgeklammert wird. Das europäische System der Förderung für Bücher, Filme, Kunst, Theater, kurz die gesamte europäische Kulturförderung durch die einzelnen Mitgliedsstaaten und die EU wäre sonst gefährdet und könnte von den USA rechtlich angegriffen werden.

Die Europäische Kommission unterstützt die französischen Vorbehalte allerdings kaum. Handelskommissar Karel De Gucht möchte die Kulturthemen weiter auf dem Verhandlungstisch belassen.

So ist z. B. noch ungeklärt, ob E-Books Teil der Verhandlungen sind. Sie gelten rechtlich als Dienstleistung und fallen damit nicht unter die kulturelle Ausnahme. Besonders Amazon drängt darauf die E-Books in das Abkommen auf zu nehmen. Würde dieses geschehen, hätte Amazon endlich die Möglichkeit, die Buchpreisbindung, die wichtigste Stütze des Buchmarktes in Deutschland und Frankreich, aus zu hebeln.

Liebe Kollegen, es ist wichtig, das Bewusstsein für die möglichen Auswirkungen des Freihandelsabkommens zu wecken. Es nutzt nichts, wenn einige wenige Bundestagsabgeordnete davon wissen. Reden Sie mit ihren Bürgermeistern und Gemeinderäten vor Ort. Wie bei der bereits erfolgreichen Buy Local Bewegung müssen wir die Aufmerksam für die Probleme auf kommunaler Ebene wecken und den Druck nach oben, an die Entscheidungsträger in den Parlamenten weitergeben. Noch ist dafür Zeit. Wir sollten allerdings nicht bis Fünf vor Zwölf damit warten…

© Gerrit van der Meer

23 Kommentare zu “Fünf vor Zwölf. Gerrit van der Meer schlägt Alarm

  1. Es ist nur schwer verständlich, weshalb nicht die Institutionen, die „Kultur“ im weitesten Sinne vertreten, und in unserem Fall eben die Verlage, der Börsenverein und die VG Wort, sich nicht damit auseinandersetzen bzw. die dafür notwendige Lobbyarbeit machen. „Wir geben 8 aufs Wort“ heißt die derzeitige Kampagne der VG Wort. Das sollen sie dann bitte auch mal machen. Und die Herren und Damen Verleger ebenso.

    • Aber das ist doch nur Geschwätz, das nimmt niemand Ernst. Wenn esdenn soweit kommt wird sich jeder schon arrangieren, die paar die dann nix mehr zu sagen haben können sich damit trösten, dass die anderen auch nix sagen, selbst wenn man sie veröffentlicht.

  2. Pingback: Freihandelsabkommen – Abkommen zum Handeln im freien Fall… - Vorpommern-Greifswald wird Grün

  3. @Petra: Mit den Theatern hast du wahrscheinlich Recht, wobei ich mir nicht sicher bin, ob nicht z.B. eine private Musicalproduktion, eventuell mit einer Klage auf Gleichbehandlung (Diskriminierungsverbot) in Zukunft ebenfalls Zuschüsse fordern könnte. Ich bin kein Jurist, aber soweit ich das Verstanden habe, wäre soetwas durchaus möglich.

  4. Kleine Korrektur noch: Europa würde durch das Freihandelsabkommen nicht gleich seine Theater verlieren. Erstens sind Theater in den EU-Staaten völlig unterschiedlich finanziert. Zweitens müssen wir kaum befürchten, dass die USA Fast-Food-Theater in unsere Städte stellt. 😉
    Die Gefahren liegen schlicht dort, wo es Konkurrenzprodukte mit Marktpower gibt und europäische Anbieter nicht stark genug wären, erfolgreich zu konkurrieren, also z.B. bei Film und Buch.

  5. Schöne Grüße aus dem Kulturland Frankreich: Wir hier verstehen absolut nicht, warum uns die anderen EU-Staaten derart allein im Regen stehen lassen, allen voran Freund Deutschland. Und auch, was die E-Books betrifft, prescht Frankreich ja vor, indem es die Mehrwertsteuer dafür gesenkt hat, weil es ein BUCH ist. Derweil träumt der Börsenverein immer noch von Definitionsversuchen des „Prinzip Buch“.
    Für Reden ist es längst zu spät, denn die Verhandlungstermine sind nah. Hier würden wohl nur massive Petitionen mit Durchschlagskraft helfen, an denen sich alle Kunst- und Kulturbeteiligten bis hinein in höchste Gremien beteiligten. Dazu müssten allerdings Kunst und Kultur gesellschaftlich wie politisch eine ähnlich relevante Rolle spielen wie in Frankreich! Und da sehe ich in Deutschland schwarz, ganz schwarz.

    • Schöne Grüße aus dem Kulturland Frankreich: Wir hier verstehen absolut nicht, warum uns die anderen EU-Staaten derart allein im Regen stehen lassen, allen voran Freund Deutschland.

      Das ist ziemlich einfach, in Deutschland wird keine *Kunst* produziert, die schützenswert wäre:

      Filme: Entweder Schnulzen, Komödien oder Krimis mit immer den gleichen Staatsschauspielern. Sichere Finanzierung per Zwangsgebühr, auch wenn den Schrott kaum sieht, (den ich kenne).

      Bücher: Entweder amerikanischer Ramsch (Sebastian Fitzek, Wulf Dorn & Co.) oder die Autoren sehen sich als kleine Goethes, die es als Adelung ihres Werkes sehen, wenn die dumme, breite Masse ihre Texte nicht liest.

      Theater: Ich habe einmal gelesen, dass zwei Theateraufführungen den Steuerzahler soviel kosten, wie ein Hartz4-Empfänger im Monat. (Wobei viel geschwatzt wird, wenn der Tag lang ist. Sollte es stimmen, dann können die Kulturliebhaber ihre wahre Liebe zur Kultur unter Beweis stellen, indem sie die vollen Kosten tragen.)

      Wo nichts ist, braucht man nichts schützen.

      • Nomadenseele, könnte es nicht eher sein, das deine in meinen Augen extrem schlechte Meinung von der Kunst im eigenen Land sehr typisch sein könnte für die Beurteilung der gesellschaftlichen Relevanz? Ich könnte dir jetzt aus dem Ausland ganze Seiten von richtig tollen deutschen Künstlern aufzählen, für all diese Bereiche. Die sich drum auch im Ausland verkaufen. Und dort sehr geschätzt werden.

      • Das Ausland ist kein Maßstab, Fitzek wurde auch in den USA gefeiert und hat außer *Der Seelenbrecher* zumindest in meinen Augen kein gutes Buch geschrieben. Wobei *gut* in dem Zusammenhang bedeutet, dass es wenigstens spannend war.

        Wenn ich gutes Fernsehen sehen möchte, dann schalte ich entweder Arte, 3Sat oder Phoenix ein. Oder ich sehe DvDs. *Gutes Fernsehen* verbinde ich mit Serien wie The Shield, die BBC-Produktionen, Downton Abbey usw. Deutsches Fernsehen erschöpft sich zwischen pubertären Komödien von Till Schweiger, Rosamunde Pilcher-Verfilmungen und Tatort/Polizeiruf 110 in Endlosschleife. Letztere kann man eher als Volkserziehungsmaßnahmen ansehen, als als TV. Frische Talente kommen nicht hochm stattdessen sieht man immer die gleichen verbrauchten Gesichter.
        Ich sehe z.B. gerne Inspector Barnaby und Lewis – Der Oxfordkrimi – sicher intellekuell genauso *fordernd* wie ein Tatort, aber besser produziert.

        Und selbst wenn die Produkte gut wären: Deutschland hat nun einmal keine begehrenswerte Kultur und Mentalität, welche exportfähig ist.

      • Kleines Beispiel: The Shield – Schimanski

        Sowohl in der Serie The Shield sowie in einer Schimanski geht es um korrrupte Polizisten.

        The Shield: Gut gemacht, tiefsinnig (glaubt man bei den DvD-Covern nicht) und es schlüsselt sich alles erst nach 5 Staffeln auf.
        Schimanski: Moralinsauer bis zum Gehtnichtmehr und typisch trist-deutsch. Anspruch null.

      • Ja verkaufem genau, das ist schon der eigentliche Fehler der deutschen Literatur und die ist extrem langweilig, mit Ausnahmen, natürlich

      • Kann es sein, Nomandenseele, dass FREMD für uns einfach besser ist? Ist Coronation Street besser als die Lindenstrasse? Wirklich? Würde ein Engländer das nicht vielleicht umgekehrt sehen?

        Kleines Beispiel: Ich habe einige richtig gute Tatorte auf dem Laptop gespeichert, weil sie wiedersehenswürdig sind. Derrick hingegen fand ich immer nur schrecklich. Wurde aber in über 100 Länder verkauft, und ist dabei viel erfolgreicher als etwa Tatort.

        Oder was die angesprochene Korruption auch im Polizeiwesen angeht: da gab es eine gänsehautmachende Serie mit Senta Berger als interner Ermittlerin. Oder die Miniserie Kriminaldauerdienst KDD – dicht und so beklemmend, daß ich sie nicht sehen wollte. Als englisches Spektakel hätte ich sie mir durchaus angeschaut, mich gegruselt und damit getröstet, daß das ja alles ‚überm Kanal‘ passiert und mich also nicht betrifft.

        Der Einfluss von „fremd“ auf unsere Wert-Urteile ist mannigfaltig und m.W. nur schlecht untersucht.

        LG LB

      • Natürlich gibt es gute deutsche Serien wie KDD und Im Angesicht des Verbrechens. Aber es dominieren *Um Himmels Willen*, *Der Bergdoktor* oder *Die Landärztin*; einfacher Wollfühlschrott für die 70+ – Generation. Zu Coronation Street/Lindenstrasse kann ich nichts sagen.

        Aber Serien wie Borgen oder Kommisarin Lund wären in Deutschland nie möglich, schon die Ausstrahlung grenzt an ein Wunder.

        Ich empfinde es so: Entweder moralinsauer-triest-miefig wie der Schimaniski oder Heile Welt. Serien wie Komminsarin Lund, The Shield, Inspector Barnaby können die Deutschen nicht. Geschichte ist immer Weltkriegsmief.

        Es kann nur besser werden und wenn dies via Freihandelsabkommen kommt, ist es ebenso. Schützenswert ist die deutsche *Kultur* eh nicht.

      • „Wo nichts ist, braucht man nichts schützen.“ diese Aussage sehe ich als Beleidigung aller Kulturschaffenden in unserem Land.

        Danke, daß du so mit verschlossenen Auge durch die Welt gehst und alles was du dann nicht siehst, für vernichtungswürdig hältst.

        Wer so oberflächlich wie du über das Filmschaffen in Deutschland urteilt, hat keine Ahnung wieviel Filme tatsächlich produziert werden, die es nur dank der amerikanisch und/oder profit-orientierten Kinoketten nicht auf die großen Leinwände schaffen.

        Also Filme des Regisseurs Rudolf Thome z.B. sind nichtswürdig?

        Das ist schon keine Ignoranz mehr, die du da von dir gibst, das ist nachgeplappertes Spießergeschwätz, eben Indolenz.

      • Rudolf Thome (* 14. November 1939 in Wallau (Lahn), Hessen) ist ein deutscher Regisseur. Die Filmzeitschrift Cahiers du cinéma bezeichnete ihn 1980 als den wichtigsten unbekannten deutschen Regisseur.
        http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Thome

        Genau die Art von Geschwätz, die Sie da fabrizieren, ist es, die an der deutschen Kulturszene abstößt. Da wird mit Namen hantiert, die kein Mensch kennt (sonst hätte Sie z.b. Dominik Graf, ebenfalls ein sehr guter Regisseur, genannt) und wer die nicht kennt, ist doof und spießig. Genau das meinte ich mit der Adelung des Schaffens, wenn einen keiner kennt.

        Wer so oberflächlich wie du über das Filmschaffen in Deutschland urteilt, hat keine Ahnung wieviel Filme tatsächlich produziert werden, die es nur dank der amerikanisch und/oder profit-orientierten Kinoketten nicht auf die großen Leinwände schaffen.

        Qualität setzt sich durch und wer sein Publikum nicht findet, bedient dieses wohl jenseits von Insiderkreisen nicht. Und wer Qualität liefert, braucht keine Angst vor Freihandelsabkommen haben, denn dann hat man seine Käufer.

        Das ist schon keine Ignoranz mehr, die du da von dir gibst, das ist nachgeplappertes Spießergeschwätz, eben Indolenz.

        Persönliche Angriffe lassen nie immer auf ein hohes Niveau des Charakters schließen. Nur mal so als Anmerkung, da einige nicht darauf verzichten könne, sobald es ein anderer wagt, eine andere Meinung zu haben.

      • Und ich wiederhole es gerne noch einmal für den Begriffsstutzigsten: So wie sich einige Kulturinteressierte im Internet gebärden, – und der Post vor mir ist ein wunderbares Beispiel – brauchen sich diese Leute nicht wundern, dass *Intellektueller* den gleichen Schimpfwortrang wie *Prolet* bekleidet. Nicht nur ich rümpfe inzwischen dabei gewaltig mit der Nase, sondern auch viele andere, die deswegen, weil sie nicht zur Selbstüberschätzung wie andere neigen, auch nicht doof sind.

  6. Gibt es vielleicht irgendwo eine Initiative, wo man sich einbringen kann? So ähnlich wie beim Privatisieren der „Wasserrechte“ in der EU; eine Richtlinie, die ja nicht zuletzt am Widerstand der europäischen Bürger scheiterte.

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