„Wer will denn ernsthaft mit dem konkurrieren wollen, was die Internet-Handelsunternehmen da veranstalten?“ – SteglitzMind stellt Clemens Bellut von der Buchhandlung „artes liberales“ vor

Sind Buchhändler tatsächlich die Verlierer der Digitalisierung? Wie gehen sie mit den Schreckensszenarien um? Wo sehen sie Risiken, wo Chancen und welche Weichen stellen sie, um zukunftsfähig zu bleiben? Wie halten sie es mit dem E-Book und wären Titel von Self Publishern für sie eine Option? Diese u.a. Aspekte will die Gesprächsreihe “Steglitz stellt Buchhändlerinnen und Buchhändler vor” beleuchten, in der Interviewpartner in loser Folge standardisierte Fragen beantworten.

Welche Buchmenschen und Buchhandlungen wir zukünftig etwas näher kennenlernen, schlagen zum einen jene vor, die mir Rede und Antwort stehen. Darüber hinaus freue ich mich auf Empfehlungen von Euch, wer hier ebenfalls zu Wort kommen sollte. Und, bitte sehr, vermerkt Eure Vorschläge hier (nebst Link zur Buchhandlung); und nicht etwa auf diversen anderen Kanälen im Social Web. Danke sehr! Im Übrigen freue ich mich auch über Gastbeiträge: Was habt Ihr in Buchhandlungen erlebt? Woran denkt Ihr gerne zurück, was ist Euch aufgestoßen?

Heute lernen wir Clemens Bellut vom Heidelberger Buchladen artes liberales etwas näher kennen. Vorgeschlagen hatte das Giovanni Belmonte, der das Blog vnicornis pflegt.

Eine Skizze vom Laden…

Im Mai 2013 habe ich den Buchladen unter dem Namen artes liberales in der Heidelberger Altstadt, am Kornmarkt, in einem frisch restaurierten, 300 Jahre alten traumhaft schönen Haus eröffnet. Er ist in einem ausgesprochen ernst gemeinten Sinn als philosophischer Buchladen aufgebaut, versammelt auf sehr kleinem Platz einen entsprechend kleinen Bestand von ca. 1.200 Titeln, die vornehmlich aus meiner eigenen disziplinären Perspektive in einem gewissen Verhältnis zur Philosophie stehen: Dichtung, Literatur, Philologie, Kunstwissenschaft, Physik, Musikwissenschaft, Geschichte.

Clemens Bellut © L. Povilas Ludvikas

Clemens Bellut © L. Povilas Ludvikas

Warum sind Sie Buchhändler geworden?

Weil ich vor eineinhalb Jahren nach Heidelberg gezogen bin und in der Altstadt, neben all den zahlreichen Antiquariaten, leidvoll die Abwesenheit eines solchen Buchladens registrieren musste – eines Buchladens zum Lesen, zum Gespräch, zur Entdeckungsreise und zur veritablen Konkurrenz fürs Café oder für die Kneipe als Tagesraum.

Würden Sie sich unter heutigen Bedingungen abermals für diesen Beruf entscheiden?

Ja.

Was hat sich in den vergangenen Jahren in Ihrem beruflichen Alltag verändert?

Der Wechsel von den akademischen Tätigkeitsorten zu einem Buchladen. Dabei ist der Wechsel lange nicht so grundsätzlich wie es scheinen mag: Seit alters her trage ich mich mit der Idee, einmal eine kleine Akademie oder ein Kolleg oder Institut zu gründen, auch zur Wiederaufnahme der alten, herkömmlichen Impulse in der Gründungszeit der ersten europäischen Universitäten. Und auf die Idee mit dem Buchladen bin ich, über den genannten äußeren Anlass hinaus, nur darum gekommen, weil ich mir einen solchen Buchladen mit seiner Präsenz höchst sorgfältig ausgesuchter Titel und Bücher denken kann als die Keimzelle einer solchen „Akademie“.

Die Devise heißt ja: Buchhandel go online! Was unternehmen Sie in dieser Richtung?

Ich unternehme keine gesonderten Anstrengungen – aber ich nutze die digitalen Techniken überall, wo sie sich hilfreich machen können. So gibt es eine Facebook-Präsenz des Ladens, eine Internet-Seite, die auch zur Bestellung und zur Beauftragung taugt und man kann eben alle gedruckten, digitalen, audio-visuellen Werke – soweit sie mir erreichbar sind – bestellen und erhalten. Ich sehe nicht den geringsten Anlass, einerseits, mich deswegen von meinem ursprünglichen Impuls abbringen zu lassen – und der Impuls war eben nicht zuerst auf digitale Experimente ausgerichtet – oder, andererseits, mich ohne Not auf völlig gegenstandslose Abgrenzungskämpfe verpflichten zu lassen.

Das Sterben der Buchläden ist allgegenwärtig. Wo verorten Sie für Ihre Buchhandlung die größten Gefahren?

Das Sterben ist vielleicht ein sehr populärer und doch ein wenig stichhaltiger Topos: Es verhält sich vermutlich so ähnlich wie mit den Schallplattenläden. Sie sind ja auch nicht gestorben – oder sie sind jedenfalls wiedergekommen. Und sie genießen vermutlich eine erheblich höhere Wertschätzung als zu Zeiten vor der Digitalisierung. Und so geht es auch mit den Buchläden. Freilich wenn man glaubt, der Digitalisierung und dem Internet-Handel hinterherlaufen zu müssen und davon ausgeht, dass es sich beim Buch um ein völlig austauschbares Handelsgut gegenüber anderen Waren handelt – dann hat man auch ökonomisch schon verloren, bevor man auch nur einmal in seine Buchhaltung geguckt hat … umso mehr in inhaltlicher Hinsicht. Wer will denn ernsthaft mit dem konkurrieren wollen, was die Internet-Handelsunternehmen da veranstalten? Das ist für sich womöglich mehr oder weniger legitim, aber ich will doch gar nicht neben Büchern oder austauschweise gegen sie irgendwelche anderen Waren vertreiben, nur um überhaupt Handel zu treiben oder nur um überhaupt Gewinn zu erzielen. Sondern ich habe eine Idee und einen Wunsch und ich sehe Menschen, die sich wie ich weit unterfordert fühlen von dieser selbstverständlich restlos anti-intellektuellen Industrie. Nicht zufällig geht das Sterben insbesondere bei denjenigen Läden und Ketten los, die ihrerseits einmal einst die kleinen kostbaren Läden zu Grabe gebracht haben und nun einem Trend hinterherlaufen, unter dem sie gar nicht anders als ersticken können.

Wie halten Sie es mit dem E-Book?

Ich schreibe niemandem vor, in welcher Gestalt er dasjenige, was mir lesenswert scheint, in die Hand nehmen will: In Schweinsleder gebunden, in Leinen gebunden, kartoniert, als Hörbuch, in irgendeiner digitalen Gestalt…

Wäre das eine Option für Sie, auch Titel von Self Publishern anzubieten?

Es gibt kein grundsätzliches Argument dagegen – und keines dafür. Die beiden entscheidenden Argumente sind ausschließlich: 1.  was damit publiziert wird und 2.  wie es gemacht ist.

Wie verkauft man heutzutage Bücher?

artes liberales © Clemens Bellut

artes liberales © Clemens Bellut

Indem man einen Buchladen wie ein Café und wie eine Kneipe auffasst: Wenn man versteht, dass es beim Buchverkauf wie bei einigen anderen bemerkenswert eigenartigen Gütern darauf ankommt, ihren ökonomische Ertrag als notwendigen Ermöglichungsgrund ansieht – aber nicht als das ausschlaggebende Anliegen. Ich brauche den Verkauf dafür, den Laden überhaupt betreiben zu können – aber ich mache ihn aus einem völlig anderen Grund. Da braucht es dann aber auch ein intimes Verhältnis sowohl zu den ausgestellten Büchern als auch zu den Menschen, die zu Besuch kommen. Und vielleicht fängt schon alles damit an, diese Menschen nicht als Kunden, sondern als Besucher anzusehen. Und bei den Büchern kommt es darauf an, den Schreck vor den Verlagspreisen zu verlieren und sich mit denjenigen schönen, gutgemachten und verdienstvollen Editionen, Titeln und Publikationen zu umgeben, für die es sich immer lohnen wird, Menschen damit in Berührung zu bringen, darauf aufmerksam zu machen und sie miteinander in Verbindung zu bringen. Das darf man ruhig in beiden Richtungen als ein erotisches Verhältnis ansehen.

Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, die Ihnen Verlage erfüllen… Welche wären das?

1. Dass auch umgekehrt sie, wenn sie denn solcherart Bücher machen und herausbringen, in ein ähnlich ambitioniertes Verhältnis zu denjenigen Buchläden und Buchhändlern treten, wo sie ein solches Verhältnis zu ihren Büchern lebendig vorfinden können.

2. Dass die Gelder, die in ihre oft unglaublich aufwendigen Kataloge und Präsentationen gehen, eher den Autoren, den Lektoren, den Setzern und den Buchhändlern zugute kommen lassen.

3. Dass sie meine Vorstellung einer erneuernden Art der Akademie, die aus dem Buchladen hervorgeht, fördern wollten.

Und was würden Sie sich vom Börsenverein für den deutschen Buchhandel wünschen?

Für diese Wunschliste reicht das (virtuelle) Papier hier nicht: Vielleicht am kürzesten zu sagen, dass der Börsenverein wirklich eine Vereinigung des BUCH handels werden sollte und nicht ein Instrument von Großunternehmen, die wahlweise Bücher, Schlüsselanhänger, Teddybären, Tassen u.a. vertreiben. Oder umgekehrt gesagt: die klare Selbstzuordnung, ob der Börsenverein für den Handel arbeiten will, der zufällig auch die Ware ‚Buch‘ vertreibt, oder für die Bücher, ihre Autoren, ihre Verleger, ihre Setzer und Drucker, ihre Buchläden und ihre Leser arbeiten will, die nebenbei auch über Handelsbeziehungen verbunden sind. – Und am banalsten zu sagen: an mir könnte der Börsenverein schon eine Menge sparen, wenn er den unglaublichen Aufwand mit seinen Magazinen und Informationsblättern einschränken oder einstellen würde und auch den dazugehörigen ganzen Apparat der Werbewirtschaft, des Marketings, der Produktion und des Vertriebs dieser völlig überflüssigen Papiere…

Was treibt Sie in der literarischen Szene, dem Literaturbetrieb derzeit besonders um?

Die engstirnige Beschränkung auf einen Talkshow- und Nachtisch-Literaturbegriff, der aus merkwürdigen Gründen die wissenschaftliche Literatur fast ausschließlich unter der Kategorie „Sachbuch“ oder „Populärwissenschaft“ oder „Wissenschaftsjournalismus“ kennt und weitergibt. Und die Beschränkung auf der anderen Seite, die aus der ängstlichen Scheu kommt, in Deutschland noch das Wort „Dichtung“ in den Mund zu nehmen.

Warum sollten Kunden in eine Buchhandlung gehen?

Es fängt damit an, dass überhaupt  niemand  in eine Buchhandlung gehen  sollte  – und es geht weiter mit dem Buchhändler und dem Verleger, die aufhören sollten, ihre Leser und Besucher so maßlos wie die Talkshows zu unterschätzen und die ihrerseits vielmehr diesen Lesern und Besuchern den  lohnenden  Weg in eine Buchhandlung überhaupt  möglich  zu machen.

Welche anderen Buchhandlungen empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Den Reisebuchladen in Heidelberg, Buchhandlung & Antiquariat Schöbel, ebenfalls in Heidelberg ansässig, die literarische Buchhandlung Quichotte in Tübingen, ebenfalls in Tübingen die H.P. Willi Buchhandlung, Pro qm aus Berlin, die sich hier bereits vorgestellt haben, Calligramme in Zürich und die Buchhandlung Klio, auch in Zürich. – Für ein Gespräch schlage ich Wolfgang Zwierzynski von der Tübinger Quichotte Buchhandlung vor, weil sie meiner auch auf beste komplementäre Weise entspricht.

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Eine Übersicht über die Empfehlungen, die im Rahmen der Gesprächsreihe mit Buchhändler/ innen seit Juli 2013 zusammengekommen sind, findet sich hier

Außerdem gibt es inzwischen ein dreiteiliges Fazit zu den 44 Interviews:

1. Ob und wie sich die Befragten im Netz engagieren 2) inwieweit E-Bücher bereits Einzug in ihre Läden gehalten haben 3) wie sie es mit Publikationen von Self-Publishern halten. Zum “Best of: Warum sollten Kunden in eine Buchhandlung gehen” geht es hier und falls sich jemand die Frage stellen sollte, einmal Buchhändler, immer Buchhändler?, der wird hier fündig

2 Kommentare zu “„Wer will denn ernsthaft mit dem konkurrieren wollen, was die Internet-Handelsunternehmen da veranstalten?“ – SteglitzMind stellt Clemens Bellut von der Buchhandlung „artes liberales“ vor

  1. Die engstirnige Beschränkung auf einen Talkshow- und Nachtisch-Literaturbegriff, der aus merkwürdigen Gründen die wissenschaftliche Literatur fast ausschließlich unter der Kategorie „Sachbuch“ oder „Populärwissenschaft“ oder „Wissenschaftsjournalismus“ kennt und weitergibt. Und die Beschränkung auf der anderen Seite, die aus der ängstlichen Scheu kommt, in Deutschland noch das Wort „Dichtung“ in den Mund zu nehmen.

    Volle Zustimmung. Es gibt so viele spannende Projekte im Bereich des Interactive Storytellings wie Dear Esther oder The 39 Steps, welche es verdient hätten, dass sich Literaturwissenschftler (oder jemand anderes mit Ahnung) ihrer annimmt und sie auseinandernimmt. Aber es passiert nichts. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die meisten Leser / Blogger so konservativ sind, dass sie Hörbücher schon für reaktionär halten. Von dem Auftritt literarischer Figuren wie Sherlock Holmes z.B. in Sherlock Holmes jagt Jack the Ripper, Das Testament des Sherlock Holmes oder Agatha Christie, deren Büber man nachspielen kann, abgesehen. Ich verstehe diese Berührungsängste nicht.

    Wenn man sich nie Neuem öffnet, wo sollen dann denn neue Impulse herkommen?

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