Buchpreisbindung. Eine Entgegnung zum Gutachten der Monopolkommission von Lorenz Borsche

Sehr geehrte Damen und Herren,

gestatten Sie mir, mich kurz vorzustellen: Lorenz Borsche, 63, Gründer und Vorstand der eBuch eG, einer Einkaufsgenossenschaft mit 850 Mitglieds-Buchhandlungen und eigenem Zentrallager mit ca. 120 Mio. Euro Jahresumschlag (VK) und einem bundesweiten Onlineshop, der besonders die Abholung in der lokalen Buchhandlung unterstützt. Meine Vita finden Sie auf meiner Homepage.

Sie werden unschwer verstehen, dass die Buchpreisbindung ein Thema ist, mit dem ich mich seit Jahrzehnten beschäftige, denn es war Ende der 1990er Jahre die Drohung von EU-Kommissar Karel van Miert, diese Preisbindung abzuschaffen, die überhaupt zur Gründung dieser Genossenschaft geführt hat.

Sie, Herr Professor Wambach als Vorsitzender, und Ihre Kolleginnen und Kollegen der Monopolkommission haben sich in einem Gutachten gegen die Preisbindung bei Büchern ausgesprochen. Nein, ich möchte nicht mit Ihnen diskutieren, wie kulturelle Vielfalt sinnvoll geschützt werden kann, auch nicht, ob alles, was zwischen zwei Buchdeckel gepresst wird, unbedingt als Kultur zu gelten hat oder ob der Buchhandel per se ein schutzbedürftiges Biotop sei. All‘ das nicht.

Lorenz Borsche © privat

Und wenn ich nicht wüsste, dass Sie, lieber Herr Professor Wambach, zunächst (wie ich auch) Physik und Mathematik studiert hätten, würde ich Ihre Empfehlung an die Bundesregierung nur für ein Beispiel des unter Wirtschaftswissenschaftlern mittlerweile weit verbreiteten Neoliberalismus (eigentlich: Marktfundamentalismus) halten, dass nämlich der Markt sich am besten von selbst nach Angebot und Nachfrage ausbalanciert und deshalb regulatorische Eingriffe zu vermeiden seien. Das Beste, postulieren Sie, sei doch der von EU-Recht geschützte „unverfälschte Wettbewerb“.

Diese These basiert vor allem auf dem seit John Stuart Mill bekannten Begriff des „homo oeconomicus“, der unterstellt, dass die auf einem Markt handelnden Personen allumfassend informiert und absolut rationale Egoisten seien, die ihre Produktauswahl ausschließlich nach der Summe ökonomischer Kriterien richten. Daraus folgt nach Adam Smith, dass Märkte sich zum Wohle aller selbst regulieren, wenn man sie nur lässt.

Aber den postulierten „homo oeconomicus“ gibt es nicht, das sagt uns nicht nur der gesunde Menschenverstand, mittlerweile haben viele psychologische Studien diese These mehr als einmal falsifiziert. Dann müssen aber auch alle Theorien und Voraussagen, die darauf basieren, mehr oder weniger falsch sein. Leider hat dieses Denkmodell in der Nationalökonomie, die heute Wirtschaftswissenschaft heißt, zu vielen falschen Voraussagen – Stichwort Pareto-Optimum, das es niemals gegeben hat und niemals geben kann – und daraus folgend irrigen Handlungsanweisungen an Politiker geführt, von denen sich lösen zu können sehr schwer scheint.

Nun endlich, nach über 200 Jahren, ist auch in den Wirtschaftswissenschaften die Erkenntnis gereift, dass es den rein rational entscheidenden Optimierer noch nicht mal als Manager in der Wirtschaft gibt, geschweige denn im Privatleben, und es deshalb so gut wie keinen Sinn hat, ihn in irgendwelche Theorien einzubauen. Wir alle handeln zu einem großen Teil nur teilinformiert und emotionsgesteuert und damit in Summe auch unvorhersehbar.

Die Börsen z.B. sind reines Glücksspiel – seit dem Tulpenfieberwahn 1637 in Holland, einer der bekanntesten Finanzblasen der Geschichte, ist das für jeden Laien unschwer erkennbar, auch wenn Nationalökonomen das lauthals bestreiten. Wenn ein Aktienportfolio, von Affen per Dartwürfen ausgewählt, zu einem besseren Ergebnis führt, als die Summe der Erfahrung vieler Fondsmanager, dann ist das ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass Börsenerfolge tatsächlich unvorhersehbar, eben rein zufällig und damit Glückspiel sind. Sie werden die entsprechende Studie der renommierten Cass Business School in London kennen. Und was ist die Börse anderes als ein riesengroßer Markt? Die falsche neoliberale Theorie von den sich selbst regulierenden Märkten aber, die gibt es immer noch, trotz aller Finanzblasen und Börsen-crashes, die es gemäß dieser Theorie doch gar nicht geben dürfte?

Aus der Physik wissen Sie, dass die Gültigkeit von Theorien an ihren Voraussagen gemessen werden, sie werden überprüft und entweder falsifiziert und verworfen, oder erstmal nicht. Je öfter sie nicht widerlegt werden, desto eher könnte es sich dabei um eine gültige Theorie, gar ein (Natur)Gesetz handeln – Wissenschaftler folgen da heute ausnahmslos alle dem Falsi-fikations-Modell von Raimund Popper.

Hat Ihre „Wissenschaft“ auch nur eine der schweren Börsenblasen resp. den unvermeidbar folgenden Crash jemals übereinstimmend und richtig vorausgesagt? Wenn sich die Physik in aus Theorien abgeleiteten Voraussagen solche Fehleinschätzungen erlaubt hätte wie die Wirtschaftswissenschaften – niemand würde Einstein jemals Glauben geschenkt haben, und das zu Recht. Aber Eddington konnte 1919 die Jahre vorher aufgestellte Behauptung, dass Masse nicht nur den Raum, sondern damit auch die Lichtstrahlen krümmt, bei einer Sonnenfinsternis eindrücklich belegen. In der Physik gibt es auch nicht, wie in den Wirtschaftswissenschaften, viele miteinander konkurrierende, sich teilweise diametral widersprechende „Denkschulen“; wenn es nachweisbare Abweichungen von den Voraussagen gibt, führen diese über kurz oder lang zu einem Paradigmenwechsel, wie z.B. beim Übergang von der Newton‘schen zur Einstein’schen Gravitationstheorie.

Können Sie, sehr geehrte Damen und Herren, auch nur ein Beispiel aus den Wirtschaftswissenschaften anführen, bei der große Theorien durch die Wirklichkeit auch nur annähernd so eindrucksvoll bestätigt wurden, wie Einsteins Relativitätstheorie oder auch Plancks Quantenphysik? Mir ist keines bekannt, dafür aber sehr viele Falsifikationen.

Ja, ich stelle die Voraussagekraft der Wirtschaftswissenschaft in Frage. In anderen Fächern wissen die Forscher um die Unzulänglichkeit jeder Prognostik, kein Historiker würde sich erlauben, aus in der Vergangenheit beobachteten Abläufen eine Theorie über die Zukunft zu schnitzen. Noch nicht mal die reinen Statistiker in der Soziologie würden sich so weitreichende theorieabgeleitete Empfehlungen erlauben, wie das die Wirtschaftswissenschaftler tun, denn die Soziologen wissen, dass selbst das genau nachgezählte Verhalten der Menschen in der Vergangenheit leider keine zuverlässige Voraussage für die Zukunft erlaubt.

Insofern also muss ich ein Wirtschaftsgutachten, dass sich eine solche Vorhersage zu machen traut (nämlich, dass die Abschaffung der Preisbindung zum Wohle aller sei) schon ganz grundsätzlich in Frage stellen. Cui bono ist die allerwichtigste Frage und die wird hier nur unzureichend bzw. gar nicht beantwortet.

Ist das, was dem einzelnen Verbraucher kurzfristig dienen könnte – ein eventuell reduzierter Preis durch Konkurrenz der Händler – auch schon gleich gesamtgesellschaftlich von Nutzen? Gilt das denn auch langfristig? Welche Strukturveränderungen werden induziert oder verstärkt und sind diese wünschenswert, auch für eben jenen Einzelnen? Und gibt oder gäbe es nicht vielleicht etwas, das besser für alle ist, als ausgerechnet die Preiskonkurrenz durch die Händler? Auch in anderen Branchen? Nämlich die Preiskonkurrenz durch die Hersteller, wie wir sie mit der Buchpreisbindung haben, weil da wirklich die Produkte miteinander konkurrieren, der Verbraucher damit viele wirtschaftliche, aber auch handfeste psychologische Vorteile erzielt, während die sogenannte  Schnäppchenjagd durch Preiskon-kurrenz der Händler bei ein und demselben Produkt nicht nur zu psychologischer Belastung der Käufer führt, sondern langfristig auch Strukturbrüche hervorbringt, die wir gesamt-gesellschaftlich vielleicht gar nicht wollen?

Würden Sie sich erlauben, nur für ein kurzes Gedankenexperiment alle verfestigten Dogmen Ihrer Wissenschaft (freier Handel ist gut, Preis-Konkurrenz auch, also ist die Preis-Konkurrenz im Handel auch gut) zu vergessen bzw. in Frage zu stellen? Und wenn nicht, dann können Sie mir sicher die von meiner kleinen Geschichte aufgeworfenen Fragen beantworten. Hier kommt sie:

Da haben wir A-Dorf und den allwöchentlichen Markt. Und natürlich auch B-Dorf. In A-Dorf backt der Bäcker Müller sein Landbrot und verkauft es auf dem Markt um drei Taler. Und obwohl der Bäcker Meier sein Hofbrot gleicher Größe um nur zwei-einhalb Taler anbietet, kaufen viele Menschen das Müllersche Landbrot, es schmeckt einfach besser, und der höhere Preis für eine gleichartige Ware wird gerne bezahlt. Das viel kleinere B-Dorf hat keinen Bäcker, also lässt Bäcker Meier seine Frau dort auf dem Markt sein Hofbrot verkaufen, auch dort für zweieinhalb Taler.

Nun kommt der Händler Schulze, der auf beiden Märkten Gemüse und Eier verschiedener Bauern verkauft, zum Bäcker Müller und spricht: Mein lieber Müller, warum gibst Du mir nicht zwei Körbe voll von Deinem Landbrot, wenn ich nach B-Dorf fahre; das lässt sich dort sicher gut verkaufen. Gesagt, getan, Schulze kauft die Landbrote für zweieinhalb Taler bei Müller ein, um sie in B-Dorf für drei Taler zu verkaufen, ein gutes Geschäft für beide. Aber der Verkauf läuft schleppend, die etwas wohlhabenderen B-Dörfler sind es gewohnt, ohnehin öfter nach A-Dorf auf den Markt zu fahren, weil dort das Angebot größer ist, und da nehmen sie doch gleich das Müllersche Landbrot mit. Schulze ärgert sich. Er beschließt, mal eine Zeitlang nichts am Müller-Brot zu verdienen und senkt den Preis auf zweieinhalb Taler, um das Geschäft anzukurbeln.

Das klappt auch gut, jetzt muss er sogar seine Einkaufsmenge erhöhen, weil nicht nur mehr B-Dörfler das Müller-Brot kaufen, sondern sogar manche A-Dörfler gezielt auf Schnäppchenjagd nach B-Dorf fahren, um das dort günstigere Müller-Brot zu erwerben. Mittlerweile hat Schulze seine Abnahmemenge so gesteigert, dass Müller gar nicht mehr wüsste, wie er seine – natürlich erhöhte – Produktion anders absetzen könnte als mit Hilfe von Schulze, während der Ex-Konkurrent Meier schon um seine Existenz kämpfen muss. Dann setzt Schulze das Messer an: auf seinem großen Stand in A-Dorf hängt jetzt ein fettes Schild: „Aktion: Das Original-Müller-Brot für nur zweieinhalb Taler!“ Die A-Dörfler jubeln, endlich überall Müller-Brot für einen halben Taler weniger! Müller schäumt vor Wut, aber was soll er machen, der Händler Schulze hat den viel größeren und schöneren Stand und viel mehr Zulauf – und jetzt kommt er auch noch und fordert, die Brote um nur noch zwei Taler einzukaufen, sonst könne er nichts verdienen.

Bei Müller geht das an die Existenz, aber er muss nachgeben, ohne den Schulze‘schen Absatzkanal könnte er morgen zusperren. Aber er kann die hohe Qualität für diesen Preis nicht mehr aufrechterhalten, er muss die Gehzeit des Teigs verkürzen, damit er schneller und mit weniger Aufwand produzieren kann. Am Ende ist sein Landbrot kaum noch besser als das Hofbrot von Meier – aber das merkt keiner, denn den Meier gibt es schon gar nicht mehr. Schulze aber hat sich aus den realisierten Gewinnen nicht nur schönere, größere Stände mit noch mehr Waren für die Kunden gebaut, sondern auch nach C-Dorf und D-Dorf filialisiert. Die Dörfler halten das für großartig, Schulze everywhere. Mittlerweile hat Schulze auch das Müller-Brot wieder verteuert, er nimmt jetzt 2 Taler und 70 Groschen. Ach ja, alles wird teurer, sagen die Leut‘ und murren auch nicht, als er den Preis auf die ursprünglichen 3 Taler anhebt.

Nur irgendwie, sagen die Alten, hat das Landbrot früher doch besser geschmeckt, und man konnte noch wählen zwischen dem Hofbrot vom Meier, das etwas günstiger war, und dem leckeren, aber teureren Müller-Brot. Die Jungen halten das für das typische „Früher-war-alles-besser“-Geschwätz der Alten und fügen sich in die Realität. Und Schulze baut sich eine schöne Villa und experimentiert in seinem Gartenschuppen mit teuren Feuerwerksraketen, ein Hobby, das er sich früher niemals hätte leisten können.

Das alles dringt dem Landvogt ans Ohr, der sich manchmal unerkannt unter die Dörfler mischt. Er sieht den Müller und den Meier verarmen, Verkaufsstände haben beide schon lange nicht mehr, die Dörfler essen nurmehr mittelgutes Brot, aber zum teuren Preis und der Schulze wird reicher und reicher. Und das mit dem schlechteren Müller-Brot ist ja sogar ihm selbst schon aufgefallen. Der Landvogt denkt nach. Alles hat doch damit begonnen, dass Schulze erstmal das Müller-Brot so verbilligt hat, bis alle Kunden bei ihm kaufen. Und er dann über Preis und Qualität und vor allem seine Gewinnspanne frei bestimmen konnte. Der Landvogt findet das nicht richtig, dass – nur weil Schulze sehr bauernschlau war – die Menschen jetzt, egal ob in A-Dorf oder B-Dorf weniger Qualität bekommen, aber dasselbe bezahlen müssen und obendrein noch Müller und Meier fast am Hungertuch nagen, der Schulze aber immer fetter wird.

Und so macht der Landvogt ein Gesetz, das dem Treiben des Schulze – der mittlerweile auch die Gemüsebauern und Eierproduzenten voll unter seiner Fuchtel hat – Einhalt gebieten und anderen Händlern, die nicht so raffgierig sind wie Schulze, eine Chance geben soll, damit die Menschen frei wählen können, was und wo, sprich bei wem sie kaufen.

Er verfügt, dass der jeweilige Hersteller einen Endpreis für seine Produkte festlegen muss, für die Kartoffeln und die Eier der Bauer, für das Brot der Bäcker und so fort. Und bei Strafe des Teerens und Federns allen Händlern verboten ist, die Herstellerpreise zu umgehen, zu unter- oder zu überbieten.

Sofort senkt Bäcker Müller den Verkaufspreis für sein Brot 2. Qualität auf zweieinhalb Taler, stellt aber auch wieder das gute alte Brot für 3 Taler her und nennt es jetzt Landgutbrot. Und er findet andere Markthändler, die ihm mehr bezahlen, als der Schulze es tut, wenn sie nur Ware bekommen. Es ist ein harter Kampf, aber Schulze muss von seinem hohen Ross herunter und faire Einkaufspreise bezahlen, die Müllers Kosten für gutes Brot decken. Die unsinnigen Feuerwerksexperimente muss er auch einstellen, seitdem er keine Wuchergewinne mehr einstreichen kann. Der Sohn vom Bäcker Meier hat die Bäckerei wieder angefangen und macht mit einem neuen Vielkornbrot dem Müller Konkurrenz. Die Menschen haben wieder eine Auswahl zwischen mehreren Broten und mehreren Händlern und müssen auch nicht mehr nach B-Dorf fahren, um ein Schnäppchen zu machen, denn jede Brotsorte kostet ja nun überall dasselbe.

Schöne Geschichte, oder? Leider nicht wahr, denn der „Landvogt“ (aka Gesetzgeber) hat, von wenigen noch existierenden Ausnahmen abgesehen (Bücher und Medikamente), die früher z.B. für Lebensmittel geltende Herstellerpreisbindung in den 1970er Jahren aufgehoben. Der Erfolg? Kleinbauern und selbst größere Milchgenossenschaften haben keine Chance, werden gar mit Kartellgesetzen gepiesackt, die Preise aber dürfen die Discounter bestimmen. Fibronil-Eier und Hühner-Elend? Wie das oben geschilderte „schlechtere“ Müller-Brot eine Folge irrwitzigen Preisdrucks durch die Großabnehmer, der zu überdimensionierten Großbetrieben führen muss, wo Tierwohl und Qualität nachrangig sind.

Warum wurde denn die Preisbindung bei Lebensmitteln aufgehoben? Weil sie nicht mehr beachtet wurde und die „Großen“ ungeniert und ungestraft Preiskämpfe angezettelt haben. Das hat zu einer starken Machtkonzentration im Lebensmittelhandel geführt, und heute bestimmt nicht mehr die Berchtesgadener Milchbauerngenossenschaft darüber, was sie an einem Liter Bergmilch verdient, sondern Aldi, Lidl, Edeka und Rewe. Und solange der Konzentration von Einkaufsmacht nicht Einhalt geboten wird, haben Hersteller so gut wie keine Chance, es sei denn sie hätten ein Monopol, was so gut wie nie der Fall ist. Ja selbst ein multinationaler Konzern wie Nestlé muss sich von Rewe, der viele Nestlé-Produkte einfach ausgelistet hat, vorführen lassen.

Wenn ich mir heute ein TV kaufen will, dann werde ich zu einer „Schnäppchenjagd“ fast gezwungen, zu tief ist der Jagdinstinkt in uns verankert, zu stark ist die „Belohnung“, die mein Stammhirn signalisiert, wenn ich nur das Wort Rabatt oder das Prozentzeichen sehe. Ganz irrational, aber dutzendfach von Psychologen immer wieder belegt. Sie wissen das alles, oder? Und Sie halten den „homo oeconomicus“ und das Pareto-Optimum immer noch für valide Theorien? Genau wie die von Adam Smiths sich selbst regulierenden Märkten? Das wäre so, als würden Sie schwarze Löcher mit Newtons Gravitationsgesetzen beschreiben wollen.

Von den ganzen unappetitlichen Ausformungen der Schnäppchenjägerei mal ganz abgesehen, als da wären:

  • Amazon zeigt iPhone-Nutzern höhere Preise, als wenn man sich mit einem Android-Smartphone auf der Website bewegt – Apple-Jünger haben mehr Geld, meint Amazon, und sind bereit, mehr für genau dasselbe Produkt, verbunden mit genau derselben Dienstleistung zu bezahlen
  • Produktbezeichnungen sind mittlerweile so kryptisch, aber ähnlich, dass der Verbraucher sich gerne mal von einem Superpreis für das 75-Zoll-TV von Hersteller X ködern lässt, weil er gar nicht merkt, dass sich unter einem unwesentlich anderen Produktcode (HB 1573 AI statt HB 1573 AL) eigentlich das Vorjahresmodell verbirgt und der tolle Preis in Wirklichkeit gar nicht toll ist (Verbraucherzentralen haben das in hunderten von Fällen nachgewiesen).
  • Lokale Händler sterben aus, zu Lasten der Innenstädte, in denen es viele Leerstände gibt, obwohl die Konjunktur brummt.

So sehen unregulierte Märkte aus. Ist es das, was die Bevölkerung sich wünscht?

Die Hersteller-Preisbindung dagegen fördert die gesunde Konkurrenz der Erzeuger um das bessere Produkt zu einem fairen Preis. Sie würde auch dem wirklich amoralisch anmutenden Geschäftsgebaren von Amazon, Preise zu „personalisieren“ sofort einen Riegel vorschieben. Bei überall gleichem Preis können die Händler mit Service punkten, zum Beispiel: einfach zu Fuß um die Ecke erreichbar zu sein und ein freundliches Gesicht zu haben, nicht nur ein Smiley auf einem Karton.

Die Händler-Konkurrenz bei freier Endpreisgestaltung erzeugt völlig absehbar unsinnige Rabattschlachten, unsinnig, weil dem Verbraucher ja das nicht verdiente Geld irgendwo anders aufgeschlagen werden muss, und einen Konkurrenzkampf, der schlimmer ist, als der im Dschungel: jeder Alpha-Löwe wird mal alt und muss weichen, außerdem kann er auch nicht mehr als ein begrenztes Revier „beherrschen“. Händler? Händler wird es, wenn das so weitergeht, nur noch wenige geben, der Mittelstand wird marginalisiert werden und die Bevölkerung sich in reiche „Schulzes“, gerade noch überlebende Müllers und Meiers, und – das fehlt in der Geschichte – die unterbezahlten Paketausfahrer spalten.

Wenn Sie so eine Ellenbogen-Gesellschaft wollen, verbunden mit vielleicht sogar Ihnen unan-genehmen Wahlentscheidungen der darob erzürnten Bürger, dann lassen Sie einfach das Recht des Stärkeren gelten und heben Sie alle Kontrollen auf. Das ist dann Markt-fundamentalismus – bis in die späten 1940er Jahre war der heute so geschmähte „Neo-liberalismus“ nämlich begrifflich der Vorläufer und Ideengeber der sozialen Marktwirtschaft – und die kannte die Preisbindung!

Wenn Sie aber eine mittelstandslastige Gesellschaft bevorzugen, in der sich die große Mehrheit wohl und geborgen fühlt, dann geben Sie dem kleinen Händler nebenan – und den Kunden – auch eine Chance, nämlich die der Herstellerpreisbindung. Dann konkurrieren Produkte miteinander, nicht Einkaufs-Machtzentralen.

Sie meinen, eine Hersteller-Preisbindung sei nicht zu kontrollieren? Ja, in den 1970er Jahren war das so, mit ein Grund, warum ungestraft dagegen verstoßen werden konnte und damit das Gesetz obsolet wurde. Heute ist das, dank Internet, ganz anders, wir haben schon viele, viele Verfahren gegen „Große“ unserer Branche, ja auch gegen Amazon geführt und so oft gewonnen, dass unsere Rechtsabteilung nicht mal mehr Kosten verursacht. Ja, lieber die Überwachung der Preisbindung durch die Konkurrenz ist der Schlüssel, sie auch wirklich flächendeckend und dauerhaft durchzusetzen, ohne dabei den Staat bemühen zu müssen – was ja keiner will.

In unserer Branche darf man das Vorhaben als gelungen bezeichnen, auch wenn es stetiger Nacharbeit bedarf. Und mal ganz ehrlich: nervt es Sie nicht auch, dass der Sprit im Nachbardorf manchmal 5 Cent billiger ist, und Sie jedes Mal neu überlegen müssen, ob Sie den Umweg machen, ob sich das rechnet, oder ob nicht kurz vorher der Preis umspringt? Wäre es nicht enorm erleichternd für alle, wenn der Benzinpreis je Marke im ganzen Lande und für mindestens vier Wochen Gültigkeit hätte, man sich also keinerlei Gedanken darüber machen müsste, sondern einfach zur Tanke fahren könnte? So wie sich der Buchkäufer keine Gedanken machen muss, wo er sein Buch kauft, ob in der kleinen Buchhandlung um die Ecke oder dem Buchgroßkaufhaus in der Stadtmitte, im Buchshop im Einkaufszentrum oder beim Internetversender. Wäre das nicht die wahre Entscheidungsfreiheit, wenn auch das seriell abgepackte Kilo neue Kartoffeln im kleinen, fußläufigen City-Markt um die Ecke genau dasselbe kostete wie beim Edeka auf der grünen Wiese – solange sie vom selben Hersteller kommen? Das wäre doch so viel leichter für alle!

Wir haben so etwas Ähnliches für die Buchhändler realisiert, und sie danken es uns mit großem Zulauf und der rhetorischen Frage: „Warum habe ich mich Euch nicht schon Jahre früher angeschlossen“? Unser System ist ganz einfach: aus den unterschiedlichen Kondi-tionsangeboten der Verlage (aka Rabatte) haben wir („big data“ im Vorfeld) eine statistisch untermauerte Durchschnittskondition ermittelt, und genau die bekommt bei uns jeder Buchhändler, ob groß oder klein, und zwar für jedes Buch. Nun muss er nicht mehr grübeln, ob er nur wegen der besser scheinenden Verlagskondition dieses oder doch lieber jenes Buch auswählt, und er kauft ein, was er dann auch gerne aktiv verkauft. Sie können über die vielen Rationalisierungs-Vorteile des Anabel-Modells hier einen Artikel aus dem Börsenblatt des deutschen Buchhandels nachlesen.

Ganz nebenbei ist unser Modell leider auch ein Beleg dafür, dass der „homo oeconomicus“ so nicht existiert: Jeder fragt uns, warum, wenn unser Einkaufs-Modell doch so überlegen ist, sich nicht längst alle unabhängigen Buchhändler angeschlossen haben? Darum. Weil sie nicht rational ökonomisch entscheiden, sondern weil viele andere Faktoren, auch völlig irrationale, mit hineinspielen, wie zum Beispiel die „Treue“ zu einem bestimmten Lieferanten, die Angst, bevormundet zu werden (bei uns muss niemand irgendetwas), die Unfähigkeit, die Zahlen mal wirklich zu hinterfragen, die Verführung durch den nominell besseren Rabatt, die nicht konsequent zu Ende gerechnet wird, auf dem Papier erstmal toll aussieht, aber Folgekosten erzeugt, die alles konterkarieren, etc. pp.

Wie wäre es, wenn es über die Frage Hersteller-Preis-Konkurrenz vs. Händler-Preis-Konkurrenz mal eine allumfassende Untersuchung gäbe, die unter Beteiligung von Psychologen, Soziologen, Sozialforschern und Wirtschaftswissenschaftlern versucht *alle* Aspekte, auch und vor allem die gesellschaftsdynamischen zusammenzutragen und dabei eben nicht Einzelaspekte im Fokus hat, sondern das Gesamtwohl der ganzen Gemeinschaft? In ökologischen Themenbereichen gibt es solche „Audits“, die themen- und bereichs-übergreifend, also interdisziplinär arbeiten, schon lange, wir kennen auch die TAFs, die sogenannten Technikfolgenabschätzungen, für die ähnliches gilt. Aus den Wirtschafts-wissenschaften sind mir Studien, die auf die Summe aller Faktoren und dabei aufs Allgemein-wohl abstellen, nicht bekannt. Ihr Gutachten jedenfalls erfüllt eine solche Forderung nicht.

Last-not-least: Nur weil das EU-Recht angeblich den „freien Wettbewerb“ und damit eben auch den Preis-Wettbewerb der Händler untereinander „schützt“, heißt das noch lange nicht, dass hier das Richtige geschützt wird. Natürlich sagen uns alle Experimente mit jeder Form von Planwirtschaft, dass nur Konkurrenz die besten Ergebnisse bringt; die Frage ist nur: wer konkurriert und zu welchen Bedingungen? Führen bestimmte Formen von Konkurrenz nicht fast zwangsläufig zu exorbitanten Machtkonzentrationen, die wiederum jede echte Konkurrenz aushebeln?

Viel zu lange haben sich die neoliberalen Wirtschaftstheoretiker vor der Beantwortung dieser Fragen gedrückt, es wird Zeit, dass mal ganz grundsätzlich darüber nachgedacht wird, was eine kluge Wirtschaftspolitik bewirken kann und bewirken sollte. Einfach nur alle Zäune niederreißen wollen, weil sie da sind, das hat schon 1968 ff. nicht funktioniert. Ich muss das wissen, denn ich war dabei, genauso wie bei den durch unsinnige Deregulation verursachten Börsen- und Finanzkrisen der letzten 30 Jahre, bei denen wir Steuerzahler für die falschen Theorien der von uns hoch alimentierten Marktfundamentalisten, wie z.B. dem Deregulierer der SPD, Jörg Asmussen viele, viele Milliarden haben bezahlen müssen. Die Hoffnung, dass man in der Wirtschaftswissenschaft wenigstens aus solchen Katastrophen die richtigen Schlüsse zieht, die habe ich – wie viele andere Unternehmer und normale Steuerzahler auch – längst aufgegeben. Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren, man soll ja niemandem das Recht auf späte Einsicht absprechen 😉

Beste Grüße,

Lorenz Borsche

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© Lorenz Borsche

Update von mir: Inzwischen sprach sich auch der Kulturausschuss des Bundestages für den Erhalt der Buchpreisbindung aus.

 

„Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, der hat schon verloren“. Im Gespräch mit Lorenz Borsche

???????????????????????????????„Wie groß ist die Zukunft des Buches?“ – so ist eine Diskussionsrunde überschrieben, mit der SteglitzMind indirekt verbandelt ist. Und zwar insofern als die Gespräche mit Buchhändlern/innen, die ich seit letztem Sommer führe, dafür Pate standen. In seinem Beitrag kündigte der Inhaber der Berliner Tucholsky-Buchhandlung Jörg Braunsdorf an, die Fragestellungen der Interviewreihe anderenorts vertiefen zu wollen. Seinen Worten folgen nun Taten. Die Veranstaltung, von der sich Braunsdorf auch Signale an die Politik und den Börsenverein für den deutschen Buchhandel erhofft, findet am Dienstag, den 3. Juni 2014, um 19.00 Uhr in der Tucholskystr. 47 in Berlin/Mitte in der Tucholsky-Buchhandlung  statt.

Dass dieses Mal die üblichen Grabenkämpfe nicht ausgefochten werden, dafür werden sicherlich auch die geladenen Diskutanten sorgen. Sie alle haben mit der Buchbranche zu tun, kommen aber aus völlig verschiedenen Ecken: Siegmund Ehrmann, MdB (Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien), Zoë Beck (Autorin und e-Book-Verlegerin CulturBooks), Lorenz Borsche (Vorstand der buchhändlerischen Genossenschaft eBuch), Boris Langendorf (freier Publizist), Daniel Leisegang (Politikwissenschaftler, Redakteur der Monatszeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“ und Autor von „Amazon. Das Buch als Beute”) und Stefan Weidle (Verleger und Vorsitzender der Kurt-Wolff-Stiftung).

Ich erwarte mir im Vorfeld der Berliner Buchtage, die übrigens Tags darauf beginnen, eine spannende Diskussion, zu der Ihr herzlich eingeladen seid. Der Eintritt ist frei, um Voranmeldung, entweder per E-Mail  [kurt(at)buchhandlung-tucholsky(dot)de] oder via Facebook, wird gebeten.

Als Appetizer gibt es auf SteglitzMind vorab Gespräche mit einigen Gästen, die das Podium am 3. Juni in der Tucholsky-Buchhandlung bestreiten werden.

Heute – Lorenz Borsche von eBuch:

Über mangelndes Engagement für den Erhalt des stationären Sortiments kann man derzeit kaum klagen, Blogger stellen Buchhandlungen vor, neue Preise für engagierte Buchhändler werden ausgelobt, jüngst sprach sich sogar Kulturministerin Monika Grütters dafür aus, den unabhängigen Buchhandel finanziell unterstützen zu wollen. Halten Sie staatliche Subventionsmodelle für sinnvoll?

Lorenz Borsche © privat

Lorenz Borsche © privat

Direkte Kulturförderung – für Lesungen zum Beispiel – halte ich für sinnvoll. Subventionen für normale Handelsgeschäfte lehne ich aber ab – unter der Prämisse, dass dann auch Online-Versender keine Millionenzuschüsse für den Bau ihrer Logistikzentren erhalten dürfen. Wer eine Buchhandlung aufmacht und damit Arbeitsplätze schafft, bekommt allenfalls einen günstigen Kredit, aber keinen Investitionszuschuss. Das müsste man mal alles zusammenzählen, was da bezahlt wurde, und zum Ausgleich einen Fond schaffen, der einspringt, wenn von der Gemeinde monatelang die Straße vor dem Laden aufgerissen wird. Wegen solcher Vorkommnisse mussten schon viele kleine Buchhändler schließen. Auf der grünen Wiese passiert das nie…

Die buchhändlerische Genossenschaft eBuch, die derzeit mehr als 600 Mitglieder vereint, wurde im Jahr 2000 ins Leben gerufen. Damals war die Buchpreisbindung gefährdet. Wo sehen Sie heute die größten Herausforderungen für den Buchhandel?

Ganz eindeutig im Wettbewerb mit Amazon.

Bekanntlich wahrt der Börsenverein für den deutschen Buchhandel die Interessen der drei Sparten des Buchhandels. Warum braucht es neben dem Börsenverein eigens eine Genossenschaft für das stationäre Sortiment?

Gegenfrage: Weshalb gibt es wohl einen Verband der Bahnhofsbuchhändler? Und zwar seit über 50 Jahren? Pure Nostalgie ist das sicher nicht.

Ein Drei-Sparten Verband muss immer zwischen allen vermitteln, das ist ein schwieriger Spagat, und der gemeinsame Nenner kann mitunter sehr klein sein. Eine Verbundgruppe dagegen kann viel leichter die wirtschaftlichen Interessen ihrer relativ homogenen Mitgliedschaft verfolgen.

Offenbar ist Amazon ja nicht nur der größte Feind des Buchhandels, für den Buchhändler scheint er auch der einzige zu sein. Ist das nicht zu eng gedacht?

Sicher ist das zu eng gedacht. Amazon, Zalando und Co. sind die größte Gefahr für den gesamten stationären Handel und damit auch für große Teile des Mittelstands. Der ist aber das tragende Element und Rückgrat unserer Wirtschaft. Ohne ihn spaltet sich unsere Gesellschaft noch weiter auf in „Oben“ (= wenige gutbezahlte, „wichtige“ Jobs) und „Unten“ (= viele, schlechtbezahlte Hilfstätigkeiten). Die Kunden bleiben mit ihren Beratungswünschen auf sich selbst gestellt. Allerdings ist das nicht jedermanns Sache, sich im stillen Kämmerlein vor dem Rechner schlau zu machen. Außerdem gehen damit viele alltägliche Sozialkontakte verloren. Insgesamt erleben wir dadurch eine stärkere Segregation der Gesellschaft – und das ist ja alles andere als wünschenswert.

eBuch will in diesem Jahr mit Libri und den Anabel-Partner einen bundesweit einheitlichen Online-Shop an den Start bringen, der Händlern, Großhändlern, Auslieferungen und Verlagen ein gemeinsames Dach bieten soll. Sie wollen damit Amazon die Stirn bieten. Kann man einem quasi Online-Monopolisten mit einer Online-Strategie beikommen?

Mit „nur Online“? Sicher nicht, allemal, wenn einer so gut aufgestellt ist wie Amazon. Deshalb zielt unser Projekt auf eine nahtlose Verknüpfung von „Online“ mitStationär“. Sie haben dann auf der einen Seite die pure Variante Versand/Paketbote, auf der anderen Seite bieten wir den Kunden einen Onlineshop, der ganz eng mit den lokalen Geschäften verzahnt ist, der aber das pure Versand-Modell auch kann – das ist ein Mehrwert für den Kunden, der ein Buch sofort haben oder lieber im Laden abholen will und dafür auch gerne das Haus verlässt. Wenn er denn weiß, dass das Buch vorrätig ist und jetzt für ihn reserviert bereit liegt. Das „jetzt“ darf auch morgen sein, aber niemand läuft gerne umsonst. Das genau leistet unser Shop – und die Versand-Variante sowieso, aber das ist ja nichts Neues.

Amazon punktet im Buchbereich ja nicht allein mit der Verfügbarkeit, auch mit Service, persönlichen Empfehlungen sowie einem Pool an Rezensionen und Bewertungen. Haben Sie dem ebenfalls etwas entgegenzusetzen?

Wir würden ein solches Projekt nicht ohne einen langfristigen Plan angehen. Zu einem gemeinsamen Bewertungs- und Rezensionspool werden die Buchhändler/Innen mit ihrem Fachwissen entscheidend beitragen. Das zumindest ist Teil des Plans.

Andere sind mit Plattformen gescheitert: „Wer als Leser Bücher sucht, ist bei libreka! an der richtigen Adresse“

Ein solches Projekt darf nicht bei einem gemeinnützigen Verein angesiedelt sein, sondern muss von Menschen getragen werden, deren wirtschaftliches Wohl und Wehe davon abhängt. Die den Erfolg wirklich wollen, weil sie sonst nicht wissen, wie sie morgen ihre Brötchen bezahlen sollen.

In der ferneren Vergangenheit sind einige Projekte „Gemeinsames Einkaufen vieler kleiner Buchhändler“ gescheitert. Das hat uns aber im Jahr 2000 nicht davon abgehalten, einen neuen Versuch zu wagen. Mit ANABEL haben wir ein erfolgreiches Modell etablieren können. So erfolgreich, dass es sogar kopiert wurde. Das garantiert natürlich nicht, dass wir auch diesmal erfolgreich sein werden, aber immer gilt: „Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, der hat schon verloren“.

Lieber spät als nie… Ketzerisch gefragt: Warum kommt der Online-Shop von eBuch erst jetzt?

Den ersten Online-Shop mit Bestandsanzeige der lokalen Buchhandlung haben wir schon 1999 installiert und waren damit die allerersten. Allerdings waren die Kunden damals trunken vor Begeisterung, dass man ihnen etwas nach Hause bringt, und das noch dazu kostenlos. Mit dem Bekanntwerden aller negativen Folgen, u.a. der Verödung der Fußgängerzonen, dem Anschwellen von Billigjobs, dem Wegbrechen kommunaler Steuereinnahmen, ist diesbezüglich inzwischen Ernüchterung eingekehrt. Trotzdem wissen vier von fünf Stammkunden einer Buchhandlung nicht, dass diese einen leistungsfähigen Online-Shop hat, und das vielleicht schon seit Jahren. Das liegt auch daran, dass es unmöglich ist, mit so einem Kleinstshop bei Google irgendwo aufzutauchen. Kein Kunde kann sich „www.buecherstube-kleinkretzingen.de merken oder geschweige denn gar eintippen.

Bitte… Warum jetzt erst?

Einem einheitlichen, gemeinsamen Dach-Shop unter einem einprägsamen Label standen bislang die Buchhändler selbst im Wege: Es gibt im Einzelhandel einen kaum stärker ausgeprägten Individualismus als im Buchhandel. Bis der ketzerische Gedanke, dass das Schaufenster im Web nichts mit dem Ambiente des Ladengeschäft zu tun haben muss, um erfolgreich zu sein – bis das überhaupt diskussionsfähig war, da ist sehr viel Zeit verstrichen.

Genau solche „Individualität“ verhindert im Netz den Erfolg. Zum Beispiel muss das Suchfeld immer an derselben Stelle sein. Und zwar da, wo der Kunde es sucht, weil er es aus anderen Shops oder von Google eben so kennt. Für Kunden stehen online Bequemlichkeit und Funktionalität an allererster Stelle. „Schön“ muss nicht unbedingt sein – wann wären Telefonbücher oder Gelbe Seiten oder Fahrpläne jemals schön gewesen? Übersichtlichkeit und Funktionalität sind die Schlüsselworte. Das belegen optisch eher karge Internetauftritte von erfolgreichen Onlinern wie Amazon und eBay sehr eindrucksvoll.

Die Initiative richtet sich an alle Verlage, Zwischenbuchhändler, Verlagsauslieferungen und Buchhandlungen. Was ist mit dem Bereich Self-Publishing?

Mit „Books on Demand“ verfügt unser Partner bereits über eine hervorragende Self-Publishing Plattform, die von tausenden von Autoren (und übrigens auch Verlagen) erfolgreich genutzt wird. Die heute als europäischer Marktführer gilt und schon im Jahr 1999 in Amerika den renommierten Smithsonian Award, einen Innovationspreis gewonnen hat. Die es also schon gab, lange bevor das von Amazon nacherfunden wurde. Und das ist nicht die einzige solche Plattform in Deutschland. Das müssen wir also nicht neu erfinden.

Wie wollen Sie die Masse, sprich: Bündnispartner für Ihre neue Plattform gewinnen?

Genau so wie wir weit über 90% unserer eingefleischten „Individualisten“ letztens in wenigen Stunden überzeugen konnten: Wer den Schuss bis jetzt noch nicht gehört hat, der mag in individueller Schönheit dahinsiechen. Für alle, die überleben wollen, gilt: Die Zeit der Eitelkeiten muss jetzt vorbei sein. Im Internet sei Platz für viele, denn jeder sei nur einen Klick weit vom anderen entfernt, war die dümmste „Weisheit“, die in den Anfangstagen des WWW verbreitet wurde. Man hat einfach die Bequemlichkeit des Menschen außer Acht gelassen. Der einzige, der konsequent vom Kunden aus gedacht hat, war Jeff Bezos – das ist seine größte Leistung und der Motor seines Erfolges. Und genau das müssen wir auch tun. Da müssen sich auch harte Konkurrenten die Hand reichen und zusammenarbeiten, sonst wird das nichts – und dann verlieren wir alle.

Warum sollte im E-Commerce das Heil für die Buchbranche liegen?

Was über einhundert Jahre der Versandhandel war, heißt heute „E-Commerce“. Aber neu ist da wirklich nichts, außer, dass man den Katalog nicht gedruckt, sondern aktuell und online ständig parat hat. Das Internet hat diese Sparte für Kunden deutlich bequemer gemacht. Aber ob das ein Heil ist und für wen, diese Frage ist mir einfach zu groß.

Das Internet ist ein großartiges Informationsinstrument. Bevor ich vor die Tür gehe, möchte ich wissen, ob mein Händler das gesuchte Produkt entweder vorrätig hat oder bis wann er es mir bestellen und besorgen kann. Früher hat man sich – oft durch mehrere Geschäfte – durchtelefoniert oder mehrfach hinlaufen müssen. Heute kann ich das mit einem Klick erledigen, und genau das will der Kunde. Wenn er überhaupt noch bereit ist, vor die Tür zu gehen – und das ist er ja zum Glück immer noch. Aber dann muss die Leistung stimmen, dann will ich nicht mehrfach laufen müssen. Und wenn wir das schaffen, dann gibt es auch eine solide Hoffnung, dass der stationäre Handel überlebt.

Von der Gesprächsrunde in der Berliner Tucholsky-Buchhandlung, bei Sie am 3. Juni ebenfalls Gast sind, erhofft sich der Veranstalter Jörg Braunsdorf ein Signal in Richtung Politik und Börsenverein. Wo sehen Sie in diesem Kontext besonderen Nachholbedarf?

Ökonomie: Werbekostenzuschüsse gehören in den Gesamtrabatt eingerechnet. Der darf bei preisgebundenen Waren bei nicht mehr als 50% liegen. Andernfalls, so sagt das Kartellamt, ist der Endpreis offenbar überhöht angesetzt und muss reduziert werden. Dann würde die bisher übliche Auspressung der Verlage über die 50% hinaus durch eben solche Nebenabreden unmöglich gemacht. Das würde den Kleinen helfen, auskömmliche Konditionen zu bekommen. Schlussendlich werden die die mit „Werbekostenzuschüssen“ überhöhten Rabatte der Großen ja leider von den Kleinen mitfinanziert. Anders geht es für den Verlag nicht auf.

Kultur: Eine effiziente, intelligente und erfolgreiche Kulturförderung, wie sie zum Beispiel in Bayern im Zusammenspiel zwischen Landesverband und Politik betrieben wird, könnte Blaupause und Vorbild sein.

Und vom Börsenverein muss man sich wünschen, dass er – vor allem bei solchen Herkules-Aufgaben – Konkurrenten an einen Tisch bittet und gemeinsame Initiativen mit Macht fördert und unterstützt, und damit die Aufsplitterung auf viele zu kleine Projekte zu verhindern sucht. Gerade dafür könnte der Drei-Sparten-Verband die ideale Plattform bieten.

Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Lorenz Borsche. Ich meine, das sind eine Menge Denkanstöße im Vorfeld der Veranstaltung in der Tucholsky-Buchhandlung am 3. Juni.

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Am Donnerstag folgt an dieser Stelle ein Interview mit  Zoë Beck

„Vom Börsenverein erwarte ich mir mehr Kritikfähigkeit.“ SteglitzMind stellt Holger Brandstädt von der Friedrich-Wagner-Buchhandlung vor

Sind Buchhändler tatsächlich die Verlierer der Digitalisierung? Wie gehen sie mit den Schreckensszenarien um? Wo sehen sie Risiken, wo Chancen und welche Weichen stellen sie, um zukunftsfähig zu bleiben? Wie halten sie es mit dem E-Book und wären Titel von Self Publishern für sie eine Option? Diese u.a. Aspekte will die Gesprächsreihe “Steglitz stellt Buchhändlerinnen und Buchhändler vor” beleuchten, in der Interviewpartner in loser Folge standardisierte Fragen beantworten.

Welche Buchmenschen und Buchhandlungen wir zukünftig etwas näher kennenlernen, schlagen zum einen jene vor, die mir Rede und Antwort stehen. Darüber hinaus freue ich mich auf Empfehlungen von Euch, wer hier ebenfalls zu Wort kommen sollte. Und, bitte sehr, vermerkt Eure Vorschläge hier (nebst Link zur Buchhandlung); und nicht etwa auf diversen anderen Kanälen im Social Web. Danke sehr! Im Übrigen freue ich mich auch über Gastbeiträge: Was habt Ihr in Buchhandlungen erlebt? Woran denkt Ihr gerne zurück, was ist Euch aufgestoßen?

Dass wir heute Holger Brandstädt von der Friedrich-Wagner-Buchhandlung kennenlernen, die in Ueckermünde ansässig ist, hatte Heike Wenige vom Taschenbuchladen vorgeschlagen, der im sächsischen Freiberg zu finden ist.

Eine Skizze vom Laden…

Holger Brandstädt © Roland Köhler

Holger Brandstädt © Roland Köhler

Die Friedrich-Wagner-Buchhandlung ist eine unabhängige Sortimentsbuchhandlung mit 100 m² Verkaufsfläche ganz im Nordosten der Republik. Namensgeber Friedrich Wagner war Buchbinder und machte sich vor 130 Jahre in Ueckermünde selbständig. Sohn Johannes, bei dem meine Großmutter in die Lehre ging, machte 1936 eine Vollbuchhandlung daraus. Dessen Tochter Johanna führte die Buchhandlung bis 1981 als Kommisionsbuchhandlung. Nach einigen Jahren als Volksbuchhandlung und Nachwendeprivatisierung bin ich seit 2001 Inhaber. Die Buchhandlung umfasst ein allgemeines Sortiment, dazu Wein, etwas Papeterie, ausgewählte Nonbooks und Regionalprodukte. Es gibt einen Raum für Kunstausstellungen, eine Ferienwohnung und zahlreiche Veranstaltungen (Lesungen, Kino, Konzerte u.a.). Unser Team besteht aus mir als Inhaber, drei Aushilfen und zwei Katzen.

Warum sind Sie Buchhändler geworden?

Bücher haben mich immer fasziniert. Mutter und Großmutter waren im Handel tätig, Vater und Großvater im Zierpflanzenbau. Der Handel liegt mir mehr.

Würden Sie sich unter heutigen Bedingungen abermals für diesen Beruf entscheiden?

Ich kann mir keinen besseren Beruf wünschen, sehe aber für junge Leute durchaus fehlende Zukunftsperspektiven. Darüber hinaus kenne ich einige gute Sortimenter, die seit Jahren eine feste Anstellung in der Branche suchen und Opfer des Strukturwandels geworden sind. Hier im Pommerschen gibt es derzeit keine Beschäftigungsmöglichkeiten für angestellte Buchhändler, in Berlin sieht es seit Jahren auch mau aus.

Was hat sich in den vergangenen Jahren in Ihrem beruflichen Alltag verändert?

Größte Veränderungen für mich brachten die Mitgliedschaft in der eBuch e.G. und die Teilnahme am ANABEL-Einkaufsmodell. Ich habe schon 2001, als ich die Buchhandlung übernommen habe, nach einer Möglichkeit gesucht als kleine Sortimentsbuchhandlung Synergien zu nutzen. Damals gab es keinen Zusammenschluss, der mich überzeugt hat. Seitdem bei der eBuch die Warenwirtschaft nicht mehr Grundvoraussetzung ist, hat sich dies geändert.

Ich bin im Einkauf deutlich flexibler geworden, habe bessere Konditionen, weniger Arbeit im Back-Office. Der Genossenschaftliche Verbund stärkt die Position des unabhängigen Buchhandels, er bietet Firmen wie Amazon, Redcon & Co. Paroli und macht aus vielen Einzelkämpfern ein schlagkräftiges Team – und dies ohne dass die Individualität des Einzelnen auf der Strecke bleibt.

Die Devise heißt ja: Buchhandel go online! Was unternehmen Sie in dieser Richtung?

Ich habe seit Firmengründung eine Homepage, die bis Ende 2012 mit buchhandel.de verknüpft war. Dies war leider ein sehr mühseliges, unrentables Geschäft, da oft Bestellungen von bereits vergriffenen Titeln und aus Garagenverlagen, die zum Teil ohne Rabatt und mit überhöhten Versandgebühren liefern, eintrafen. Derzeit suche ich nach einer Alternative und nehme demnächst an einem Seminar zu diesem Thema teil.

hereinspaziert! © Holger Brandstädt

hereinspaziert! © Holger Brandstädt

Das Sterben der Buchläden ist allgegenwärtig. Wo verorten Sie für Ihre Buchhandlung die größten Gefahren?

Die größte Gefahr geht hier mit der Veränderung der Bevölkerungsstruktur einher. Die Einwohnerzahl sinkt, der Altersdurchschnitt steigt und das Land zieht sich immer mehr aus der Fläche zurück. Gleichzeitig bieten Discounter verstärkt die Brotartikel des Fachhandels an und die Aktiven kaufen im Internet. Fällt die Preisbindung geht auch hier das Licht aus, denn mit den Einkaufskonditionen, die Verlage schon jetzt Konzernen wie Amazon, Weltbild & Co einräumen, ist kein fairer Wettbewerb möglich.

Wie halten Sie es mit dem E-Book?

Die bisher via MVB und Libri angebotenen Reader haben mich nicht überzeugt. Ich empfehle daher eher das Lesen auf dem iPad oder anderen Tablet-PCs.

Als Mitglied der eBuch e.G. habe ich dank der Genossenschaft einen gut sortierten professionellen Online-Store. Die Umsätze halten sich in Grenzen, aber der Aufwand für mich auch. Wobei ich mich frage welche Funktion, außer den Content anzubieten, der Buchhändler beim E-Book hat und wie er sich und seine Individualität mehr einbringen kann?

Wäre das eine Option für Sie, auch Titel von Self Publishern anzubieten?

Das mache ich schon, aber oft fehlen den Self Publishern einfachste gestalterische und kalkulatorische Grundkenntnisse.  Wo es geht stehe ich beratend zur Seite, um für beide Seiten bessere Ergebnisse zu erzielen. Gerade im regionalen Bereich kann Self Publishing eine sinnvolle Sortimentsergänzung sein.

Wie verkauft man heutzutage Bücher?

Mit Freude an Individualität. (Nicht jeder Bestseller findet seinen Weg in den Nordosten, dafür sind ganz eigene Titel Best- und Longseller.) Durch eine gute regionale Vernetzung, einen erstklassigen Service und ein spannendes Veranstaltungsprogramm, aktive Öffentlichkeitsarbeit inbegriffen. Dazu regionale Kompetenz: Im Sortiment finden sich u.a. selbstverlegte Postkarten und der deutsche Vertrieb der Reihe ‚Zeit, Raum‚ Identität‘ aus Stettin/Polen. Durch Stärkung des buy local-Gedankens und gemeinsame Aktionen mit den umliegenden Fachhändlern, die die Vielfalt des Angebots in der Ueckermünder Altstadt ins öffentliche Bewusstsein zurückholen.

Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, die Ihnen Verlage erfüllen… Welche wären das?

Buch und Wein © Roland Köhler

Buch und Wein © Roland Köhler

1. Ich wünsche mir, dass Verlage weniger die Nebenmärkte fördern und stattdessen dem Buchhandel ähnlich attraktive Angebote machen.

2. Ich wünsche mir mehr Weltsicht der Verlage. Die Gastländer der Buchmesse zeigen, dass auch nichtenglische Literaturen großartige Entdeckungen zu bieten haben. Und dies sicher nicht nur wenn in Frankfurt ein neues Gastland gekürt wird.

3. Dass sich endlich ein Verlag findet, der weitere Provence-Krimis von Pierre Magnan ins Deutsche übersetzt. Der ist um Längen besser als Fred Vargas und ein Opfer des Verschiebebahnhofs, der den Scherz-Verlag irgendwann bei Fischer abgestellt hat.

Und was würden Sie sich vom Börsenverein für den deutschen Buchhandel wünschen?

Konsequenten Einsatz für die Preisbindung / Preisgünstige Bereitstellung buchhändlerischer Hilfsmittel / Beratung in Fachfragen. Letzteres erlebe ich sehr gut bei Michael Menard vom Landesverband Nord in Hamburg, aber die Heerscharen „grau gekleideter Herren“ in Leipzig stoßen mich regelmäßig ab. Da fühle ich mich als Sortimenter weder wohl noch wahrgenommen. Darüber hinaus erwarte ich mehr Kritikfähigkeit vom Börsenverein und die Nutzung des kreativen Potentials der Branche. Aktionen wie ‚Vorsicht Buch‘ und einiges, was da sonst gestalterisch aus Frankfurt auf die Branche losgelassen wurde (z.B. die Bücherstapelgutscheinhüllen), erschrecken mich ob ihrer Einfallslosigkeit. Auch Nachfragen heißt es dann immer reflexartig: ‚Ihren Kollegen gefällt es. ‘ Solche Aussagen bringen weder mich noch die Branche weiter.

Was treibt Sie in der literarischen Szene, dem Literaturbetrieb derzeit besonders um?

Das es immer schwerer wird, Titel mit Substanz zu finden, die zu verkaufen Freude macht. Die Unzahl austauschbarer Massenware auch aus Häusern mit großer literarischer Tradition wie z.B. Aufbau, Ullstein, List deprimiert. Fragen Sie doch mal Verlage, was im vorletzten Herbst der Spitzentitel war?! Auch wenn Osburg, Liebeskind u.a. immer noch für Lichtblicke sorgen, dünnt sich das Angebot trotz hoher Novitäten-Anzahl doch zusehends aus. Mich retten im Sommer Regionaltitel und die Tatsache, dass dank steigender Touristenzahlen auch die Backlist wieder mehr gepflegt werden kann.

Warum sollten Kunden in eine Buchhandlung gehen?

Weil Buchhandlungen im Idealfall lebendige Orte der Entdeckung und Begegnung sind, die sich durch Individualität und Engagement auszeichnen.

Welche anderen Buchhandlungen empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Ich empfehle ob ihres Engagements Ute Henze von der gleichnamigen Buchhandlung in Wolgast und Tatjana Mischke von der Franz-Mehring-Buchhandlung in Berlin-Friedrichshain, die an ihrem Standort mehrfach massive Veränderungen der Bevölkerungsstruktur gemeistert hat.

Wo findet man Ihre Buchhandlung im Netz? 

Neben der Homepage und dem E-Book-Store ist sowohl die Buchhandlung als auch ihr Inhaber auf Facebook aktiv.

Danke sehr! Wäre meine Katze Liese-Lotte noch, würde ich sie bei Ihnen gerne in die Lehre schicken…

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Fünf Fragen vom Börsenblatt für den deutschen Buchhandel zur Gesprächsreihe mit Buchhändler/innen beantworte ich hier

Zu Wort gekommen sind bislang:

Susanne Martin von der Schiller Buchhandlung in Stuttgart/Vaihingen

Edda Braun mit ihrer Buchhandlung am Turm in Ochsenfurt

Samy Wiltschek von der Kulturbuchhandlung Jastram in Ulm

Margarete Haimberger mit ihrer Schröersche Buchhandlung in Berlin/Schöneberg

Sonja Lehmann vom Bücherwurm Borken im Nordhessischen

Martina Bergmann mit der Buchhandlung Frau Bergmann in Borgholzhausen

Thomas Calliebe mit seiner Buchhandlung Calliebe in Groß-Gerau

Mila Becker mit Mila Becker Buch & Präsent in Voerde

Trix Niederhauser aus der Schweiz von der Buchhandlung am Kronenplatz in Burgdorf/Emmental

Simone Dalbert von der der Buchhandlung Schöningh in Würzburg

Klaus Kowalke von der Stadtteilbuchhandlung Lessing und Kompanie Literatur e. V. in Chemnitz

Beate Laufer-Johannes von der der BücherInsel in Frauenaurach bei Erlangen

Petra Hartlieb von der Wiener Buchhandlung Hartliebs Bücher

Nicole Jünger aka Kata Butterblume vom Buchladen am Neuen Markt in Meckenheim

Jörg Braunsdorf von der Berliner Tucholsky-Buchhandlung

Stefanie Diez und ihre Buchhandlung Die Insel im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg

Britta Beecken von der Berliner Buchkantine

Heike Wenige mit dem Taschenbuchladen, der im sächsischen Freiberg ansässig ist

Christian Röhrl von der Buchhandlung Bücherwurm in Regensburg

Susanne Dagen vom Buchhaus Loschwitz in Dresden

Jessica Ebert und Katja Weber von der Berliner Buchhandlung ebertundweber

Anna Jeller mit ihrer Buchhandlung Anna Jeller in Wien

„Seien wir froh, dass es überhaupt noch Buchhändler gibt.“ – Eine Replik von Lorenz Borsche auf die Polemik von Stefan Möller

Mit seiner Polemik Lieber stationärer Buchhandel, wir müssen reden! sorgte Stefan Möller für reichlich viel Aufsehen. Heute antwortet ihm Lorenz Borsche von der buchhändlerischen Genossenschaft eBuch:

.

Heutzutage machen drei Pointen und eine Lüge einen Schriftsteller. (Lichtenberg, Sudelbücher)

Lieber Stefan Möller: Du musst laufen!

Eine kleine, viel zu lange Gegenpolemik (nota bene: „Polemik“, gr. feindselig: scharfer Meinungsstreit)

[Ironie ON] Kann das sein, lieber Stefan, daß auf dem Schild, daß Du zeigst das U eigentlich hätte ein A sein sollen? Ja, wir sind alle faul geworden. Und das sieht man uns an. Wir lesen halt gerne, und das tut man nicht im Laufen, sondern im Sitzen. Da ist es doch toll, wenn man nur noch bis zu Türe gehen muss, wo der Paketbote demütigst wartet, statt die Treppen runter auf die Straße bis zur Buchhandlung. Und das spart doch auch Zeit – Zeit in der man *lesen* kann.

Naja, und weil wir faul geworden sind, aber nicht weniger genusssüchtig, müssen wir uns dann ein Schild vor den Bauch halten mit der Aufschrift WAMPE. Um zu zeigen, dass wir wenigstens noch selbstironisch sind.

Das, lieber Stefan erklärt doch auch, warum wir bei amazon kaufen – denn einen anderen Grund gibt’s ja nicht. Oh, Du meinst, weil Dein Buchhändler den Titel „Die Vergebung“ aus dem Matthes & Seitz Verlag nicht vorrätig im Regal stehen hat? Naja, weißt Du, der Titel rangiert auf Platz 330.000, da wäre selbst ein Dussmann überfordert.

Aber denk mal, lieber Stefan, nicht nur amazon hat den Titel auf Lager, nein, Dein Buchhändler kann ihn auch über Nacht besorgen – von seinem Großhändler. Voraussetzung ist natürlich, Du bestellst ihn vor 17 oder 18 Uhr – dann liegt er aber schon morgens um 9 oder 10 zur Abholung um die Ecke bereit. Gib zu, schneller ist auch UPS oder Hermes nicht bei Dir. Und wenn Du nicht zuhause bist, dauert’s noch einen Tag länger, weil der Paketbote wiederkommen muss. Und der CO2-Fussabdruck Deines Büchleins wird noch größer.
Aber um das zu vermeiden, da müsste man ja laufen, zur Buchhandlung laufen, nicht wahr? Das wäre zwar gut gegen die Wampe und gut für den Buchhändler, beißt sich aber leider mit unserer Bequemlichkeit. Und wir wissen doch: nicht der Krieg ist der Vater aller Dinge, sondern Mutter Faulheit! [Ironie OFF]

Buchreihe3

Spaß beiseite. Schön, dass sich unter den in den Kommentaren genannten ‚guten‘ Buchhandlungen mindestens zwei befinden, die Mitglieder einer aktiven Genossenschaft sind, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Überleben genau der kleinen, feinen Buchläden zu ermöglichen, die wir alle gerne sehen. Die auch mal ein ungewöhnliches Buch im Regal haben. Auch wenn sie natürlich von den Brot & Butter-Büchern der oberen 5.000 Ränge leben müssen.

Genau dazu haben diese Genossenschaftler einen Trick zum Geschäftsmodell gemacht, aber da muss man dem verehrten Buchkäufer und Kunden mal was erklären dürfen: Wenn der Buchhändler bei einem Verlag einkaufen will, wird er mit gar schrecklich schlechten Konditionen bestraft, falls er nicht wenigstens ein ganzes Paket voller Bücher kauft, sagen wir um 250-300 Euro oder so.

Er muss aber damit rechnen, dass neun von zehn Büchern eines Verlage wie Matthes & Seitz (und derer gibt es 15.000!) auch nach einem Jahr noch im Regal einstauben – so schön diese Bücher auch sind, sie gehören eindeutig zum „long-tail“. Und man glaubt ja kaum, wie lang der ist. Damit kann der Buchhändler weder die Miete bezahlen, noch seine Angestellten (ich weiß, dass Du das auch weißt, sag’s aber trotzdem, denn: soo funktioniert es eben wirtschaftlich leider nicht).

Aber wenn er doch ein oder zwei schöne Bücher von M & S einzeln fürs Regal einkaufen und später auch aktiv verkaufen wollte, dann müsste er es beim Großhändler bestellen. Das tut er ja auch, wenn er für Dich was besorgen soll, was er nicht da hat. Die Konditionen des Großhändlers allerdings erlauben es nicht, sich mit solcher Ware das Regal zu füllen. Also: Einzelstücke beim kleinen Verlag? Zu teuer fürs Regal. Sanmmel-Pakete beim kleinen Verlag – unökonomisch, weil sie im Regal verstauben. Einzelstücke beim Großhändler? Auch zu teuer fürs Regal. Zwickmühle? Keine Chance für Titel kleiner, feiner Verlage?

Die Genossenschaftler machen das so: Sie haben ein eigenes Zentrallager, das residiert beim Großhändler, da stecken die umsatzstärksten Titel drin, und was sie dort nicht vorhalten, zum Beispiel eben jene Long-Tail-Matthes-&-Seitz Bücher, die legt der Großhändler ihnen dazu noch in die Wanne. Und weil sie über die zentrale Übernacht-Logistik fast alles abwickeln, kaufen sie insgesamt zu guten Konditionen, mit denen man seine Regale befüllen kann, auch mit außergewöhnlichen Büchern, die man einzeln vom Verlag nie hätte wirtschaftlich beziehen können.

Und sie betreiben auch Webshops, in denen man bequem einkaufen kann, über Nacht, wie oben beschrieben und am liebsten natürlich zur Abholung im Laden – wenn es dort nicht ohnehin schon im Regal steht, was man in einigen von deren Webshops sogar sehen kann. „Buch sofort“ quasi, ohne zweimal hinlaufen zu müssen. Schon seit 1999 übrigens.

Aber *einmal* hinlaufen, das muss man schon – es sei denn, man klickt auf Versand. Dann ist wieder der Paketbote dran, also auch nicht anders als bei amazon. Trotzdem ist der ökonomische Druck so groß, dass sich literarisch höchstwertige Buchhandlungen einfach nicht mehr rechnen. Ohne einen großen Anteil von Mainstream können die Buchhändler auch keine Schätzchen mehr pflegen – und die zu pflegen ist wirklich teuer geworden.

Buchreihe3

Aber warum ist das alles so gekommen?

Amazon hat alles richtig gemacht. Sensationelle Kundenbedienung, Super-Datenbank (ähm, aus dem Buchhandel gekauft, leider), von den Großhändlern den long-tail bedienen lassen, von den Marketplacern die Antiquaria, die Gebrauchten und auch die in Buchhandlungen ‚Mitgenommenen‘ (naja, die gibt’s eher öfter mal bei ebay), bei den E-Books einen für den Kunden supersimplen „closed shop“, also kapitalistisch gesehen alles richtig.

Dann kam noch der Konzern, der dachte, man könne mit Büchern eine genau so tolle Rendite erwirtschaften wie mit überteuerten Parfüms (was natürlich absoluter Schwachsinn ist) und deshalb erstmal die Republik mit viel zu großen Buchwarenhäusern überzogen hat, dann noch die katholische Kirche im Verein mit dem ersten Buchkaufhausbauer der Republik, also der gemeine Buchhändler, den Sie so lieben, hat es – so etwa ab 2000 – mit richtigen Haifischen zu tun bekommen.

Und wäre auf der Strecke geblieben, wäre wie das Tante-Emma-Lebensmittelgeschäft zwischen Aldi und Lidl zerrieben worden, wenn er nicht seiner liebenswerten, aber unökonomischen Skurrilität abgeschworen und begonnen hätte, kaufmännisch sauber zu kalkulieren und also möglichst viel leicht Verkäufliches zu verkaufen. Denn die Preise der Bücher sind, anders als die meisten glauben, gesunken, wenn man so fair ist die Inflation, die ja bei allen Kosten zuschlägt, zu berücksichtigen.

Während also Miete und Löhne steigen und sein relativer Umsatzanteil schon wegen der Konkurrenz durch Thalia und amazon gesunken ist, kann er das nicht mit steigenden Umsätzen aufgrund höherer Preise ausgleichen. Das ist die bittere Wahrheit. Von Dingen wie der Stromlinienförmigkeit des Publikumsgeschmacks, die von vielen großen Verlagen unterstützt statt im Sinne der Vielfalt konterkariert wird, will ich da gar nicht anfangen zu jammern. Denn auch die Verlage müssen rechnen.

Also: der Kettenbuchhandel hat mittlerweile einen Anteil von 30%, amazon einen von 20% – wo ist das alles hergekommen? Klar, es ist den kleinen Buchhandlungen flöten gegangen. Respektive: die sind flöten gegangen. Oder haben sich umgestellt. Weniger Lyrik, mehr Hera Lind.

Wenn Sie trotzdem ein buntes Bücher-Schaufenster in Ihrer Straße besser finden als noch eine Döner-Bude oder gar unschönen Leerstand, dann informieren Sie sich halt in Gottes Namen auf den Verlagswebsites Ihrer Wahl – und bestellen und kaufen Sie beim Buchhändler in Ihrer Nähe.

War die Welt früher besser? Aber klar, die Sommer waren heißer, die Winter kälter und Buchhandlungen gab’s en masse. Aber da gab es auch noch Schuhmacher und Bürstenbinder und Ankerwickeleien. Der Lebensstandard war bescheiden und Pakete sauteuer. Es gab kein Internet und Fachleute waren besser informiert als Laien. Und wir waren schlank. Seien wir froh, dass es überhaupt noch Buchhändler gibt.

Tempora mutantur – et nos in illies.

Beste Grüße

Lorenz Borsche

P.S.: Das Zitat hat ein Zufallsgenerator gesetzt, ehrlich. Ich fand’s aber ganz passend, gejammert wurde zu allen Zeiten, *das* sagt es mir 🙂

© Lorenz Borsche

Es geht die Mär: Die Zukunft des Buches sei elektronisch …

Nun muss ich meinem Unmut doch Luft machen. Ich kann es nicht mehr hören. Das, was ich in den letzten Jahren immer öfter und während der weltgrößten Büchershow in den vergangenen Tagen aber- und abermals zu hören bekam: Nämlich, dass die Zukunft des Buches elektronisch sei.

So ein Quatsch! Das Buch ist ein Trägermedium. Und zwar für Inhalte oder neudeutsch: für Content. Diesbezüglich stellt sich ja auch keiner mehr hin, um (je nach Standpunkt) mit Verve oder mit Wehmut zu erklären, dass deren Zukunft elektronisch sei. Ein Hinterwäldler, würden wir von ihm denken, einer der die Entwicklung komplett verschlafen hat … Haben wir uns nicht schon lange daran gewöhnt, dass die Digitalisierung in Alltag, Freizeit und Beruf fest Fuß fasste? Schließlich gehen wir seit Jahren selbstverständlich mit digitalisierten Inhalten um, sei es wenn wir Musik hören, fotografieren, uns mit Freunden und Bekannten in sozialen Netzwerken austauschen oder auf dem Rechner bzw. Smartphone Meldungen, Kommentare oder Informationen lesen.

Längst ist auch das elektronische Buch auf dem Vormarsch. Und die Buchbranche, die sich lange gegen die Entwicklungen gesträubt hat, stellt die Weichen ebenfalls neu. So mancher Verlag wagt sich auf Neuland. Sorgen muss uns auch nicht, welche Rolle die Frankfurter Buchmesse spielen wird, wenn es im großen Stil zukünftig das nicht mehr gibt, was bislang zwischen Buchdeckeln gehandelt wurde. Eine Messe für’s Non-Book? Das ist sie doch längst. Ein Think Tank für Überlegungen, wie sich Geschäfte mit dem machen lassen, was nach dem Buch kommt? Auch das wurde in Frankfurt viel diskutiert.

Fest steht jedenfalls: Nach all‘ dem Wehklagen, Lamentieren und Beharren darauf, dass keine Abkehr vom Buch stattfände, setzt sich nunmehr auch bei den Hinterwäldlern die Einsicht durch, dass die Tage für das gedruckte Buch gezählt sind. Das lässt sich beispielsweise auch eindrucksvoll an der Außenwahrnehmung ablesen, die das Frankfurter Buchspektakel heuer hatte. Sehr viel weniger Lobgesang auf Bücher, Autoren und die Buchkultur als noch in früheren Jahren, dafür umso mehr Abgesang! Wehmütig-polemisch etwa bei Sibylle Berg, martialisch bei Malte Herweg, der sich eine Guillotine besorgte, um sich seiner Bibliothek zu entledigen, oder bissig wie bei Robin Detje und seinem eBuch-Selbstversuch.

Und auf der Messe selbst? Auch dort standen die Folgen der Digitalisierung im Fokus. Ihre Berührungsängste haben Verlage inzwischen verloren. Angst macht nun nicht mehr das eBuch, sondern die Entwicklungen beim Self-Publishing, die Verlage kannibalisieren, wie Ina Fuchshuber von neobooks in Frankfurt meinte. Unverblümt sprach Messedirektor Boos in seiner Eröffnungsrede davon, dass wir es mit der größten Umbruchsphase seit Einführung der Druckerpresse, einem „Urknall im Publishing“ zu tun hätten. Fast könnte man meinen, dass sich die Buchbranche Mitte Oktober 2012 zu digitalen Ufern aufmacht. Ginge da nicht diese Mär, dass die Zukunft des Buches eine digitale sei …

auf der langen Bank … © Gesine von Prittwitz

Ich mag mir jedenfalls kein X mehr für ein U vormachen lassen. Digitaler Content ist keine Zukunftsmusik, sondern schon lange Realität! Insofern ist man gut beraten, sich diesem zuzuwenden. Auch diesbezüglich setzte Frankfurt, wenn wohl auch nicht als Trendscout, unmissverständliche Zeichen. Ob davon allerdings Zugkraft genug ausgeht, um die Versäumnisse der vergangenen Jahre wettzumachen? Die Buchbranche hatte ja nicht nur die Digitalisierung zu weiten Teilen verschlafen. Vielfach verlor sie auch einen Bezug zu Inhalten und Ehrfurcht vor jenen, die Inhalte schaffen. Statt auf die Qualität von Büchern zu achten, wurde auf Mainstream und Quantität, d.h. massenhaften Verkauf gesetzt. Lässt sich das wieder gutmachen? Mit einer Buch-Marketingkampagne des Börsenvereins, die „laut, überraschend, involvierend und aktivierend“ geplant ist, sicher nicht. Und mit lautschreierischen Aktionen, karnevalistischen Aufzügen, sensationellen Aufmachern und hippen Social Media Maßnahmen, derer Frankfurt auch voll war, ebenfalls nicht.